Die Erde ist eine Scheibe – Über den Kreationismus in Deutschland

 

 

Das Universum und die menschliche Dummheit sind unendlich; wobei ich beim Universum nicht ganz sicher bin. Albert Einstein

 


Ausgangspunkt für diesen Artikel war eine Meldung der Deutschen Presse Agentur (dpa), demnach ein „spektakulärer Fund fossiler Knochen, die Herkunft des Menschen erhellt“. In Südafrika entdeckten also Forscher die sehr gut erhaltenen Knochen einer bisher unbekannten Vormenschenart. Professor Lee Berger von der Witwatersrand-Universität in Johannesburg berichtete, dass die etwa zwei Millionen Jahre alten Fossilien eines Kindes und einer Frau ein Bindeglied zwischen den noch affenartigen Vormenschen und den frühen Menschen darstellen könnten. Mit der Entdeckung wird der Stammbaum des Menschen immer erkennbarer. *1

Der Anlass für diesen Artikel allerdings, war nicht die eben angesprochene – durchaus  sachliche – Meldung, die am 8.4.2010 auf t-online erschien, sondern ein Teil der in der angefügten Kommentarspalte eingestellten Kommentare; was da zum Vorschein kam, ließ mich kopfschüttelnd und ärgerlich zurück. Hier vier von vielen Kommentaren als Muster (Namen geändert – Orthographie unverändert):

 Clarissa schrieb: Mensch oder Affe

Es ist verwunderlich, dass Wissenschaftler einen so unsachlichen Artikel in die Welt setzen. So ist es doch heute ein Leichtes herauszufinden, ob die DNA menschlich oder tierisch ist. Tatsache ist, dass für alles was wir kennen, ein Konstrukteur vorhanden ist. Die Evolution ist nur eine Theorie. Wenn nicht ein sehr weiser Schöpfer hinter Allem stände, gäbe is nicht eine so große Artenvielfalt, die alle vortrefflich funktionieren. Gott hat alles nach "ihren Arten erschaffen"!!!

 

adam schrieb: Affe ?

das der Mensch von Affen stammt ist rein blödsinn dann müsste der Adam und die Eva als erster Mensch auch ein Affe sein,wasnirdgendwo in den heiligen Büchern steht ! Der liebe Gott hat die Menschen als Mensch geschaffen und die Tiere als Tiere ohne Wenn und Aber ! Die Theorie von Affe zum Mensch hat " Harun Yahya " in die Erde begraben und dass für immer ! Ein Mensch ist ein Mensch und ein Tier ist ein Tier ,wobei es in heutige Gesellschaft Menschen gibt die schlimmer sind als manche Tiere !

 

Hinz schrieb: Ißt Fragen noch erlaubt????

Daß ist mal wiedr tüpisch! Diese Wissenschaftler wißen nichts aber behaupten alles mögliche über die Menschen. Wie kann man was über jemanden sagen, den man gar nicht GEKANNT hat?? Daß ist einfach nur mal wieder totahles Uni-Blabla...Mich nerft schon lange das diese superklugen alle so tuhn alsob sie alles schon vorher gewust hetten. Das Skelet sieht genau so aus wie ein Affe. Aber diese Supertüpen wißen gleich schon das sie dort und dort gewohnt hat und und so und so vHarz4 bekommen hat

 

Kunz schrieb: Herkunft

Ich glaube nicht, dass dieser Fund beweist, dass wir von den Affen abstammen. Ich habe das 30 Jahre lang geglaubt, jetzt weiß ich, dass der Mensch als vollendetes Lebewesen von einem intelligenten Schöpfer so erschaffen wurde, wir heute sind. Der Hund stammt vom Wolf ab und diese sind immer noch genetisch kompatibel. Der Mensch kann sich jedoch nicht mit dem Affen paaren, zum Glück. Ein weiterer Beweis für die Schöpfung.

Der Kulturkampf ist bei uns angekommen

Ich wunderte mich nur aus Unwissenheit… denn was sich in den USA zu einem Kulturkampf zwischen wissenschaftlich arbeitenden Forschern und bibelgläubigen Evolutionskritikern entwickelte und was ich im aufgeklärten Europa für unmöglich hielt, hat nun offenbar sogar auch Deutschland (schon längst nicht mehr das Land der Dichter und Denker) erreicht; ich wusste es eben nur nicht. Zu meinem Entsetzen wird die Schöpfungsgeschichte wird inzwischen auch an deutschen Schulen verbreitet. Was also in den Kommentaren zum Vorschein kommt, sind die die bibelfrommen Lehren der Kreationisten.

In den USA kämpfen Kreationisten schon lange dafür, dass das Darwinsche Evolutionsmodell aus den Schulbüchern verschwindet und durch die Schöpfungsgeschichte getreu der Bibel ersetzt wird. Während die Kreationisten im US-Bundesstaat Kansas Unterricht in Schöpfungsgeschichte durchsetzen. beschloss ein Gericht in Pennsylvania, dass Kreationismus nicht an einer High School in Dover unterrichtet werden darf. Auch in Kalifornien haben elf Eltern eine Schule mittels einer Unterlassungsklage zur Aufgabe des "religiösen Biologie-Unterrichts" zwingen müssen. Dort hatte eine Pfarrersfrau als Lehrerin die Schöpfungslehre verbreitet.

Ich habe nicht lange recherchieren müssen, um diesen Wahnsinn auch in Deutschland zu entdecken. Unter dem Titel "Von Göttern und Designern. Ein Glaubenskrieg erreicht Europa" war neulich beim Fernsehsender Arte ein Film zu sehen, der zwei Schulen in Gießen zeigte: Eine private und christlich ausgerichtete Schule (die August-Hermann-Francke-Schule) und das staatliche (!) Liebig-Gymnasium. Wenn schon, dann gehört die Schöpfungsgeschichte in den Religionsunterricht (und meiner persönlichen Meinung nach, gehört der eigentlich aus staatlichen Schulen heraus), aber der Kreationismus (oder die Variante „Intelligent Design“) hat nichts in der Biologiestunde zu suchen!

Im angesprochenen Film kommen ehemalige Schüler und Lehrer der christlichen Privatschule in Gießen zu Wort: "Der Lehrer hat gesagt, dass er an die Schöpfungstheorie glaubt, und dadurch wurden wir in unserer Meinungsbildung schon beeinflusst", beschreibt ein Ehemaliger im Film seine Erfahrungen an der Schule, "wir haben uns eher dazu bewogen gefühlt, an die Schöpfungslehre zu glauben. Denn was der Biologielehrer denkt, das wird schon richtig sein." Auch am staatlichen Liebig-Gymnasium gibt es offenbar Verfechter der bibeltreuen Lehre: So nannte sich ein Biologie-Lehrer selbst einen "Anhänger der Schöpfungstheorie", der es für wichtig hält, seinen Schülern diesen Ansatz im Unterricht beizubringen, damit sie lernen, "dass die Aussagen, wie sie in den Schulbüchern stehen, durchaus hinterfragt werden können". Proteste von Eltern dagegen habe es nie gegeben. *2

 Mit Gottes Wort gegen die Wissenschaft

Nun, man könnte dem Treiben ja mit Humor auch eine lustige Seite abgewinnen – so haben einige Kritiker des Kreationismus und des Intelligent Design eine eigene Religion gegründet. An die Stelle Gottes setzten sie ein fliegendes Spaghetti-Monster *12 und brachten eine satirische Kampagne ins Rollen, welche in der Forderung gipfelt: Wenn mit Intelligent Design schon eine religiöse Anschauung an Schulen verbreitet werde, dann solle auch die Theorie vom Nudelmonster als Schöpfer allen Lebens unterrichtet werden.

Ulrich Kutschera, Professor für Evolutionsbiologie und Pflanzenphysiologie an der Universität Kassel, beobachtet seit gut zwei Jahrzehnten die kreationistische Bewegung, die – aus kleinen Anfängen – heute rund 1,3 Millionen „gläubige“ Kreationisten in Deutschland hervorbrachte. Ulrich Kutschera meinte in einem Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Es handelt sich um evangelikale Christen, die sich eins zu eins zu den Wahrheiten der Bibel bekennen". Evangelikale Christen berufen sich auf die Bibel als alleinige Glaubensgrundlage, sind oft in Freikirchen zusammengeschlossen und haben eigene Schulen. *3

Grundlage dieses religiös motivierten Unterrichts – vor allem in Deutschland – ist das pseudo-wissenschaftliche Buch "Evolution. Ein kritisches Lehrbuch" von Reinhard Junker und Siegfried Scherer, das von der „Vereinigung Wort und Wissen“ herausgegeben wird; einem Zusammenschluss von Kreationisten. Sie vertritt ausschließlich die biblische Schöpfungslehre und behauptet: Die Evolutionstheorie sei eine "weltanschauliche, auf unbeweisbaren Annahmen beruhende Gesamtdeutung" und die Kritik daran gehöre in den Biologieunterricht.

Die Kreationisten setzen einfach den Glauben an die Stelle der Wissenschaft. Im angesprochenen Film wird gezeigt, wie gerade junge Menschen auf Seminaren oder Kongressen von den Ideen des Kreationismus angezogen werden und in denen nach US-amerikanischem Vorbild, mittels gruppendynamischer Gehirnwäsche, ihnen die kreationistische Idee in die Köpfe gedrückt wird. Die Jugendlichen seien nach diesen Veranstaltungen überzeugt gewesen, dass die Erde erst etwa 6000 Jahre alt sei (am 23. Oktober 4004 v.Chr. erschaffen – hat ein irischer Bischof mal ausgerechnet) – und der Grand Canyon das Ergebnis der Sintflut ist.

Glauben heißt nicht Wissen

Von der Öffentlichkeit einigermaßen unbemerkt, weil etwas unterhalb des Radars der aktuellen Berichterstattung, schwelt der Streit um die Evolutions- und Schöpfungslehre auch in Deutschland weiter. Nach einer Infratest-Umfrage im Auftrag des Magazins "Zeit Wissen" glaubt jeder zweite Deutsche, eine höhere Macht habe die Erde und das Leben auf ihr geschaffen. Und immerhin 29 Prozent glauben nicht, dass Affe und Mensch einen gemeinsamen Vorfahren haben. *4

"Das Problem ist, dass wir in Deutschland wissenschaftsfeindliche Strömungen haben, die zum Teil aus einem nicht vorhandenen Fachwissen zum Thema Evolution resultieren", sagt Ulrich Kutschera. Selbst viele Biologie-Lehrer hätten keine ausreichenden Kenntnisse über die Evolutionstheorie, weil sie im Studium oft nicht auf dem Lehrplan stehe. Optimale Bedingungen also für Kreationisten nicht nur in Deutschland. Vor allem in konservativ geprägten europäischen Ländern wie Großbritannien, die Niederlande oder auch die Schweiz, werben die Anti-Wissenschaftler massiv für ihre Schöpfungslehre.

Was in der Schule beginnt, setzt sich im Studium fort. Einer Studie der TU Dortmund, nach der jeder achte Lehramts-Student die Evolutionstheorie ablehnt, ist alarmierend. Über die Ursachen dieser Ablehnung, sagt Professor Dittmar Graf, dem Fachsprecher für Biologie an der TU Dortmund: „Zwar hängen religiöse Überzeugung und Evolutionsskepsis zusammen. Aber viel stärker wirkt sich ein naives Wissenschaftsbild aus. Knapp 15 Prozent der befragten Erstsemester haben keine Ahnung, wie Wissenschaft funktioniert. Da wird gesagt: “Wissenschaft ist doch auch nur dogmatisch.” Viele stellen sich vor, wir würden Steinchen für Steinchen ein großes Mosaik der Wahrheit zusammensetzen. Sie wissen schlicht nicht, dass jedes wissenschaftliche Wissen immer nur vorläufig ist und jede Aussage überprüfbar sein muss. *5

Wo aber Wissenschaft für dogmatisch gehalten wird, kann man sie auch mit jedem x-beliebigen anderen Dogmatismus austauschen; also die Religion an ihre Stelle setzen. Wenn jemand nach 13 Schuljahren noch nicht einmal ahnt, wie Wissenschaft funktioniert, dann läuft dort etwas schief. Vielfach thematisiert die Schule Wissenschaftstheorie nicht. Sie muss das Thema Evolution umfangreicher angehen – und vor allem früher, nicht erst in der 9. und 10. Klasse.

Eine Studie von 2005/2006 zeichnete für ganz Deutschland ein noch schlechteres Bild. Die repräsentative Umfrage der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) hat ergeben, dass in Deutschland mehr als ein Drittel der Bevölkerung (38 %) die Evolutionstheorie bestreitet.

 

>13 % der Befragten meinten, dass das Leben durch Gott geschaffen wurde, so wie es    die   Bibel beschreibt (biblischer Kreationismus).

 

> 25 % waren überzeugt, dass das Leben von einem höheren Wesen bzw. von Gott geschaffen wurde, dann aber einen langwierigen Entwicklungsprozess durchlief, der von diesem höheren Wesen bzw. von Gott gesteuert wurde (eine modifizierte Variante des Kreationismus, die man unter dem Begriff "Intelligent Design" fasst).

 

> 61 % der Befragten stimmten mit der wissenschaftlichen Auffassung überein, dass sich das Leben auf der Erde ohne Einwirken eines höheren Wesens auf der Basis evolutionärer Prozesse weiterentwickelt habe.

 

Das entspricht auch in etwa der Verteilung in den beiden Großkirchen, deren Mitglieder mit jeweils rund 13% den biblischen Kreationisten angehören, 30% Vertreter des "Intelligent Design" sind und 55 % nach wie vor von der Evolutionstheorie überzeugt sind. Bei der Gruppe der Konfessionslosen sieht das völlig anders aus: 87 % stimmen mit der Theorie der Evolution überein, nur 3 % äußerten sich im Sinne des biblischen Kreationismus und 9 % im Sinne der "Intelligent Design"-Theorie. *6

Michael Schmidt-Salomon, Geschäftsführer der Giordano Bruno Stiftung, die die fowid-Studie zum Kreationismus initiierte, sagte in Berlin, es sei erfreulich, dass die Verteilungen hierzulande weit deutlicher zugunsten der Evolutionstheorie ausgefallen seien als Vergleichsuntersuchungen in den USA. Dennoch sei es bedenklich, dass mehr als ein Drittel der Bevölkerung Auffassungen anhinge, die heute angesichts des erreichten Forschungsstands ähnlich obskur wirkten wie die einst so populäre Vorstellung, die Erde sei eine Scheibe.*7

Rückfall ins Mittelalter

Eigentlich halte ich es in religiösen Fragen mit dem „Alten Fritz“, der da sagte: In Preußen darf jeder beten wie er will… nur predigen nicht“. Das hat seine Bewandtnis darin, dass in der Zeit der Europäischen Aufklärung erkannt wurde, dass der Aberglaube dem Fortschritt in Wege ist. Nun, heute lässt sich trefflich drüber philosophieren, wohin uns dieser Fortschritt eigentlich gebracht hat… aber eines ist dennoch gewiss, es geht uns in Europa besser als zu Zeiten der Hexenverbrennung. Insofern sollen die Menschen meinetwegen glauben, dass sie von Gott persönlich erschaffen wurden.

Aber nun kommt der Teil mit der Predigt: Beim Thema Kreationismus geht es keineswegs nur um Glaubensfragen. Christliche Fundamentalisten wollen eine andere Gesellschaft. Nach einem Bericht für den Europarats-Ausschusses für Kultur, Wissenschaft und Bildung, der maßgeblich vom französischen Europaabgeordneten, dem Sozialisten Guy Lengagne, verfasst wurde, gefährdet die auf der Bibel basierende sog. Theorie die Menschenrechte und die Demokratie. Der Berichterstatter Lengagne, der Mathematik an der Universität von Amiens lehrt, bringt in dem Papier drastische Beispiele dafür, was passieren könnte, würden die Anhänger des Kreationismus mehr Einfluss erhalten. So würde die Suche nach einem Heilmittel für tödliche Krankheiten wie AIDS gebremst, Fundamentalismus und Extremismus würden gestärkt.

Explizit warnt Lengagne vor der engen Verbindung zwischen religiösem Extremismus, der oft hinter der Ablehnung der Evolutionstheorie stecke, und rechtsgerichteter Politik. Wer den Kreationismus konsequent vertrete, wolle die Demokratie durch die Theokratie, also einen Gottesstaat, ersetzen. Offenbar warnt Lengagne nicht grundlos: 2007 sollten Leitlinien verabschiedet werden, die einen Einfluss der Kreationisten auf die nationalen Bildungssysteme weitgehend ausschließen. Konservative Politiker der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten im Europäischen Parlament und ein Zusammenschluss christlich-konservativer Parteien in der Europäischen Union, verhinderten jedoch im letzten Moment die Abstimmung.

Die Europäische Evangelische Allianz hatte Christen dazu aufgerufen, sich an die Abgeordneten ihrer Heimatländer zu wenden, die im Europarat vertreten sind. “Wir rufen die Abgeordneten dazu auf, das Dokument abzulehnen”, so die Allianz. “In einer Demokratie sollte es weder Säkularen noch Gläubigen möglich sein, eine Lehrmeinung aufzuzwingen. Wenn eine Theorie keine Bedrohung für Gesetz und Recht darstellt, sollte es Wissenschaftlern und ihren Studenten ermöglicht werden, diese zu prüfen, darüber zu diskutieren und zu ihren eigenen Schlüssen zu kommen. Es wäre unfassbar, wenn der Europarat die freiheitliche Diskussion über Ideen verhindern will”, so die Europäische Evangelische Allianz. *8

Eine Religion hat – im Gegensatz zur Wissenschaft – nicht die Aufgabe, Theorien zu erarbeiten, die verifizierbar oder falsifizierbar wären. Sie gibt Antworten vor, die ja gerade nicht in Frage gestellt werden sollen; Religion ist also keine Wissenschaft, sondern eine Weltanschauung. Deswegen kann sie auch keine wissenschaftliche Disziplin begründen (mit welcher Bezeichnung auch immer). Übrigens, auf die Kritik des Europarats reagierte Lengagne entsetzt. "Wir erleben hier, wie die Weichen für eine Rückkehr ins Mittelalter gestellt werden, und zu viele Mitglieder dieser Menschenrechts-Versammlung bemerken es nicht", sagte er.

Das Trojanische Pferd

Die Überzeugung der Kreationisten ist es, dass die Bibel wahr ist… und nur die Bibel… und nicht nur was die Schöpfungsgeschichte angeht. Während unsereins noch darüber schmunzeln kann, dass „Die Welt ist 6.000 Jahre alt ist, die Sterne und anderen Planeten aber etwas jünger als die Erde sein müssen – denn in der Bibel steht, Gott habe die Erde am ersten, Sterne und Planeten jedoch am vierten Tag erschaffen.“, ist profunden Kennern der Szene ganz und gar nicht nach schmunzeln; im Gegenteil.

Bei Lichte betrachtet, ist der Kreationismus lediglich ein Symptom… ein Symptom für das Vorhandensein sehr radikaler fundamentalistischer Kräfte, welche die modernen Gesellschaften ablehnen. Es geht also gar nicht um Darwin, sondern um die modernen Naturwissenschaften insgesamt. Mit diesem Angriff auf die Naturwissenschaften, erfolgt gewissermaßen ein genereller Angriff auf alle wissenschaftlichen Sichtweisen – und damit auf die Grundlagen moderner Gesellschaften. Dass Fundamentalismus und Kreationismus offenbar untrennbar zusammenhängen, belegt z.B. der Redakteur einer in Wetzlar ansässigen Zeitschrift „Idea“ (das ist das Zentralorgan der deutschen Evangelikalen, zu denen sich rund 1,3 Millionen bibeltreue Protestanten zählen). Wenn er über Kreationismus spricht, klingt das so: Für ihn ist es eine Tatsache, dass Gott die Welt geschaffen hat… und es sei gut, wenn in der Ehe „der Mann das letzte Wort hat“.

Christoph Matulke vom christlichen Verein „Das Leben“ hat neben der Schöpfungsgeschichte auch ganz ähnliche Vorstellungen: Für ihn etwa ist eine Frau, die in ihrem Leben mit mehr als einem Mann geschlafen hat, eine Hure. Der Rechtsanwalt der sog. christlichen Schulverweigerer (auch die gibt es nicht nur des Korans wegen) Hans Goetz Werner meint denn auch: „Erst ist der Mann geschaffen worden, dann sei ihm die Frau an die Seite gestellt worden – als Gehilfin“.

Kreationismus – steht also eigentlich für ein religiös-fundamentalistisches Weltbild... deswegen ist es nicht verwunderlich, dass der Kreationismus auch in der islamischen Welt Einzug hat halten können, wo Fundamentalisten ebenfalls die Uhren auf Mittelalter stellen wollen. So kann Prof. Dr. Erich Geldbach (Leiter des Ökumenischen Instituts der Evangelischen Fakultät an der Ruhr-Universität Bochum) zu der Meinung kommen, dass der Unterschied zwischen christlichen und islamischen Fundamentalisten "höchstens graduell" sei und dass auch von den "christlichen Fundamentalisten" eine Gefahr für den Weltfrieden ausgeht. *9

Der Begriff "Fundamentalismus" wird in der Literatur sehr unterschiedlich beschrieben; es bleibt aber bei aller Unterschiedlichkeit der Beschreibung, Grundsätzliches. In diesen Grundsätzen lässt sich religiöser Fundamentalismus so beschreiben: Fundamentalismus richtet sich gegen Pluralität, gegen eine moderne, sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientierende Gesellschaft sowie gegen eine emanzipatorische und demokratische Haltung (vgl. *10 Steuerwald S. 9). Entsprechende Tendenzen finden sich sowohl im Christlichen als auch im Islamischen Fundamentalismus (und der wird vom Verfassungsschutz beobachtet – warum der andere nicht?).

Aber bevor es um die ganze Welt geht, beginnt man eben erst einmal vor der eigenen Haustür… und dann vor der Haustür der Nachbarn… und dann sogar vor meiner. Wie alle Fundmentalisten, so haben die Christlichen Kreationisten auch einen Missionierungsauftrag, den sie mit allem Nachdruck Folge leisten. Sie sind dabei auch nicht zimperlich. Mit der Bibel in der Hand geht es dann auch gleich gegen Homosexuelle und gegen das moderne Frauenbild. Noch ist es bei uns nicht so weit wie in den USA, denn dort schrecken sie auch nicht vor Gewalt und Mord zurück; z.B. wenn sie vor Abtreibungskliniken herum lungern und Ärzte, Personal oder Patienten bedrohen – und in einigen Fällen töteten.

Und mit dem Blick auf die USA kann man erkennen, worin die eigentliche Gefahr besteht: Es sind die langfristigen Folgewirkungen für das Demokratieverständnis in unserer Gesellschaft. Es soll ein Zurück zum mittelalterlichen Denken in dem alles, was nicht mit christlichem Denken übereinstimmt, unzulässig ist und entsprechende Konsequenzen hat; auch in der Bibel wurde schön gesteinigt… nicht nur im Koran.

Gefährlich und zerstörerisch wird eine fundamentalistische Bewegung u.a. dann, wenn sie sich fanatisiert. Die dem Fanatismus eigene Eingeengtheit im Denken und Handeln schlägt sich in fehlender Dialog- und Kompromissbereitschaft nieder und verwandelt die ursprünglich hohen (fundamentalen) Ideale und Glaubenssätze in ein absolutistisches Schwarz-Weiß-Denken, in dem Feindbilder entstehen, die unter allen Umständen bekämpft werden müssen. Wolfgang Schmidbauer spricht hier von einer "Destruktivität von Idealen". *11

 Zum Schluss noch

 Für den alten Spruch „Wehret den Anfängen“ ist es offenbar schon zu spät. Doch wenn man das erkannt hat, sollte man sich – genau so konsequent wie es dieser Spruch gemeint ist – den fortgesetzten Versuchen entgegenstellen, die verfassungsmäßige Ordnung auszuhöhlen und schließlich abzuschaffen. Unsere Verfassung gebietet zwar den Schutz der Religionsfreiheit, aber sie gebietet auch den Schutz der Freiheit (vor der Religion).

In einer Welt voller unerledigter Probleme brauchen wir alles Mögliche, aber nicht noch ein zusätzliches Problem. Man legt einen Sumpf nicht dadurch trocken, indem man Wasser hinein schüttet. Die Väter (und wenigen Mütter) unserer Verfassung waren der Auffassung, dass wir keine Staatskirche bräuchten – schon gar nicht brauchen wir aber einen Kirchenstaat. Die Christliche Rechte scheint da allerdings ganz anderer Meinung zu sein.

Nun, immerhin hat es die Katholische Kirche schon nach nur 359 Jahren geschafft Galileo Galilei am 2. November 1992 zu rehabilitieren; vielleicht weil er nach Jahrzehnten der Einkerkerung schließlich doch widerrufen hatte. Bei Giordano Bruno hat sich noch niemand entschuldigt – vielleicht weil er für seine (richtigen – wie sich herausstellte) Überzeugungen lieber auf den Scheiterhaufen ging als seine Überzeugung zu verraten. Die Genannten – und die Reihe ließe sich sehr lange fortsetzen – würden sich im Grabe herumdrehen, wenn sie mitbekämen, wie jener Geist, der sie damals quälte, heute wieder erstarkt.

Im Namen der Freiheit

Wilfried John

  

*1 Quelle des Artikels

http://www.t-online.de/nachrichten/wissen/id_41235018/suedafrika-spektakulaerer-fund-erhellt-herkunft-des-menschen-.html

 *2 Dokumentarfilm „Von Göttern und Designern - Ein Glaubenskrieg erreicht Europa

 https://www.youtube.com/watch?v=EhnHW653E4Q

 *3 Ulrich Kutschera - Pflanzenphysiologe und Evolutionsbiologe

http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/kreationismus-in-deutschland-vor-uns-die-sintflut-a-437733.html

 *4 Infratest Umfrage Zitiert nach SPIEGEL ONLINE-Artikel „Vor uns die Sintflut“

http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/kreationismus-in-deutschland-vor-uns-die-sintflut-a-437733.html

 *5 Dittmar Graf - Professor für Biologiedidaktik, TU Dortmund http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/kuenftige-bio-lehrer-der-trend-zum-kreationismus-ist-ungebrochen-a-608271.html

 *6 Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid)

https://fowid.de/meldung/evolution-intelligentes-design-kreationismus

 *7 Giordano Bruno Stiftung

https://giordanobrunostiftung.wordpress.com/tag/kreationismus/

 *8 Europäische Evangelische Allianz – Aufruf der an den Europarat

https://www.pro-medienmagazin.de/politik/2007/09/26/wieder-thema-im-europarat-gefahren-des-kreationismus/

 *9 Prof. Dr. Erich Geldbach (Ökumen. Instit. der Evangelischen Fakultät, Uni Bochum)

Protestantischer Fundamentalismus in den USA und Deutschland. Ökumenische Studien 21, Lit, Münster [u. a.] 2001, ISBN 3-8258-5776-X

 *10 Helmut Steuerwald – Sozialpädagoge, Bund für Geistesfreiheit in Bayern

Steuerwald, Helmut: Fundamentalismus und religiöser Fanatismus in der Welt von heute. Vortrag beim Bund für Geistesfreiheit (bfg) Fürth K.d.ö.R am 16.11.2001

 *11 Wolfgang Schmidbauer – Psychoanalytiker, Gesellsch. für analyt. Gruppendynamik

Schmidbauer, Wolfgang: Alles oder Nichts. Über die Destruktivität von Idealen. Hamburg 1980

 12 Fliegendes Spaghetti-Monster

http://de.wikipedia.org/wiki/Kreationismus

 

 

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