Thomas Piketty - Der Sozialismus der Zukunft




Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.  Karl Marx

Für die ratlose Linke

Über die Expertise eines Thomas Piketty muss ich mich an dieser Stelle nicht mehr als nötig äußern. Der Ökonomieprofessor an der Pariser Elitehochschule École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS), ist in den letzten Jahren schon fast ein Popstar geworden, dessen Veröffentlichungen die Bestsellerlisten anführten. Besonders seine monumentalen Werke „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ (800 Seiten) und „Kapital und Ideologie“ (1300 Seiten) gelten als das Hauptwerk des Autors – sie sind allerdings so umfangreich, dass sie wohl selten komplett gelesen wurden. Das ist allerdings sehr schade, weil es sich sehr lohnen würde, die Gedankenwelt des Autors zu durchdringen.

Nun ist ein weiteres Buch erschienen, dass die wesentlichen Erkenntnisse aus seinen beiden monumentalen Studien und die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen zusammenfasst und es so erleichtert die Konzeption Pikettys besser zu verstehen: Der Sozialismus der Zukunft“. Das Werk besteht in formaler Hinsicht aus einer Essaysammlung, deren einzelnen Essays in der Zeit zwischen 2016 und 2020 in der französischen Tageszeitung Le Monde als Kolumnen erschienen sind. Erleichtert und ergänzt wird der Zugang zu diesem Buch durch eine programmatische Einleitung.


Thomas Pikettys Werk auf reine Ökonomie reduzieren zu wollen, ist schon bei seinen oben genannten sehr erfolgreichen Werken unsinnig (was natürlich von interessierter Seite versucht wurde). Seine Konzeption beinhaltet eben nicht nur wirtschaftspolitische Ansätze, sondern auch soziologische, philosophische und historische Bezugnahmen, mit einem Schwerpunkt auf bestimmte politische Fragen und Ereignisse oder politischen Führern und Bewegungen. Insofern ist das Buch auch von aktueller Qualität und zur Bewertung heutiger Situationen geeignet.

 

Und genau das ist auch beabsichtigt, denn es geht nicht nur um eine Analyse der bestehenden Verhältnisse, sondern um die Veränderung dieser Verhältnisse. Ich habe keine Ahnung, ob Piketty jemals die Sentenz von Albert Einstein gelesen hat, nach der „man ein Problem nicht mit derselben Denkart lösen kann, durch die es entstanden ist“, aber in diesem Spruch lässt sich das gesamte Werk Pikettys zusammenfassen. Schon der provokante Titel weist die Richtung: Piketty Gedanken stellen nicht nur eine Absage an die neoliberale Ideologie und eine Rückkehr zu einer – wie auch immer gearteter sozialdemokratischen, wohlfahrtsstaatlichen Politik, wie sie die europäischen Gesellschaften zwischen 1940 und 1975 geprägt hatte. 

 

Aber was will Piketty nun stattdessen? Nun, die Antwort steht schon im Titel: Sozialismus. Spätestens jetzt setzen die Beißreflexe der Kapitalisten-Krokodile ein; hierzulande gerne mit dem Verweis auf die DDR. Klar, das kann man so machen, besonders wenn man hier aufgehört hat weiterzulesen, aber dann natürlich nicht mitbekam, dass Piketty mitnichten ein Revival des „realexistierenden Sozialismus“ meint. Es geht dem Autor um die Aufrechterhaltung der Demokratischen Verhältnisse, wenn er meint, dass es auf eine Änderung der Eigentumsverhältnisse an und der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel ankomme. Er führt aus, dass die ungeheure Konzentration der Vermögen – und damit auch des Eigentums an den Produktionsmitteln – letztlich auch zu politischer Macht eines sehr kleinen Kreises der Gesellschaft führt, was Demokratie zerstört oder unmöglich macht.


Thomas Piketty scheint eine klar formulierte Alternative zum Kapitalismus vorlegen zu wollen. Dabei lautet seine Prämisse: „Ungleichheit ist ideologischer und politischer, nicht ökonomischer oder technischer Natur.“, deswegen lässt sie sich politisch ändern. Bildungsgleichheit und Sozialstaat; permanente Zirkulation von Macht und Eigentum; Sozialföderalismus und nachhaltige und gerechte Globalisierung. Daraus ergibt sich, dass Piketty nichts von Populisten den Leuten eingeimpften Protektionismus, a la America First, hält. Waren und Geld flössen ohnehin international – dieser Fluss müsse aber eben reguliert und insbesondere Steuerschlupflöcher gestopft werden, fordert er unter Berufung auf Karl Polanyi und Hannah Arendt; die allerdings auch von der „Akkumulation politischer Macht“ sprach, die es zu verhindern gelte, in dem man demokratische Institutionen fördert und nicht zu zerstört.

Seinen Sozialismus nennt Piketty einen „partizipativen Sozialismus“. Dieser soll dezentralisiert, föderal, demokratisch und sozial-ökologisch aufgebaut sein. Neben der Änderung der Eigentumsverhältnisse an den und der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, orientiert sich Thomas Piketty am Konzept der Unternehmensmitbestimmung in der Bundesrepublik. Ihm schwebt vor, dass die Arbeitnehmervertreter in allen Unternehmen 50 Prozent der Stimmen haben sollten. Je größer das Unternehmen werde, desto größer müssten auch die kollektiven Entscheidungen sein. Gleichzeitig müsse die Ungleichheit bei den Vermögen beseitigt werden: Sein Rezept weniger Akkumulation und mehr Umverteilung. Niemand der Piketty kennt wird sich wundern, dass auch das Thema Vermögensbesteuerung eine Säule seines Sozialismus-Models ist.

Da es sich, wie oben schon festgestellt, bei den gut vierzig Essays, die in diesem Buch verarbeitet wurden, um Kolumnen aus einer Tageszeitung handelt, lassen sie sich sehr gut lesen; zumal fast jedes dieser kleinen Essays um die vier Seiten umfang hat. Der früheste stammt von September 2016, als Donald Trump noch nicht US-Präsident war, der letzte von Februar 2021, dem Höhepunkt der COVID-Krise. Auch wer die zugrundeliegenden Werke nicht gelesen hat, wird einen guten Zugang zu den Ideen Pikettys bekommen und das Buch ist ein Muss für alle, die sich in der Bildung mit Ökonomie befassen. Ein sehr hilfreicher Beitrag zur Kapitalismuskritik.

 

Wilfried John

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