Am Anfang war das Wort

 

Vorsicht Buchbesprechung! 

Antonio Lobo Antunes - Vom Wesen der Götter

Kein Problem wird gelöst, wenn wir träge darauf warten, dass Gott sich darum kümmert

Dr. Martin Luther King

Lobo Antunes gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller der Gegenwart… und mittlerweile liegen über 20 Romane vor, die in alle wichtigen Sprachen übersetzt wurden. Dabei handelte es sich um psychologisch fundierte Studien, die von tragischen Biographien, von Tod und Krankheit, Trennungen und unerfülltem Leben erzählen. In einer Welt, in welcher das Tun der halbseidenen Prominenz, glorifizierter Stars oder verkrachter Existenzen die Berichterstattung beherrschen, richtet er seinen erzählerischen Blick – und lenkt somit den Blick der Lesenden – auf das Schicksal ganz alltäglicher Menschen oder auch kleiner Randexistenzen, aber auch auf die Machenschaften der Mächtigsten. 

In seinen besten Romanen thematisiert er die gesellschaftlichen Verhältnisse Portugals vor, während und nach der Diktatur und vor allem die unselige Rolle Portugals in Afrika; was ihm bis heute in Portugal verübelt wird. Auch setzt er sich intensiv und kritisch mit der gegenwärtigen portugiesischen Gesellschaft auseinander und vermeidet weder "heilige" Themen wie Familie, noch das glorifizierte Geschichtsbild der Portugiesen; er ist deshalb daheim unbeliebt und gilt als Nestbeschmutzer. 

Dass seine Romane hierzulande keine Bestseller werden, mag am sprachlichen Stil Lobo Antunes´ liegen, der mit unglaublicher Dichte, erzählerischen Energie und immer einer Flut von Metaphern seine Geschichten erzählt. Das Werk des Autors gilt als Weltliteratur und mehrfach wurde er schon mit dem Literatur-Nobelpreis in Verbindung gebracht. ALA zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur und wahre Literaturbegeisterte kommen nicht umhin, diesem Schriftsteller einen prominenten Platz in ihrer Bibliothek einzuräumen. 

Zum Buch: Der Roman ist erstmals unter dem Titel „Da Natureza dos Deuses“ im Jahre 2015 erschienen und wurde im Jahr 2018 unter vorliegendem Titel in deutscher Sprache vorgelegt. In diesem Werk kehrt ALA kombiniert hier zwei Erzählmuster, der er schon häufiger nutzte Der innere Monolog einer erzählenden Person und eine Familiengeschichte (z.B.  in „Mitternacht zu sein ist nicht jedem gegeben“ oder „Archipel der Schlaflosigkeit“ – auch von mir hier vorgestellt), um uns seine Sicht der Dinge nahe zu bringen. In diesem Roman von ALA geht es – wie üblich – hintergründig um die gesellschaftlichen Verhältnisse in Portugal, besonders um die Konspiration von Großkapital und Diktatur, die sich bin in heutige Tage nicht grundlegend geändert hat. Aber vordergründig nimmt er uns mit in eine großbürgerliche Familie, um die Doppelmoral dieser herrschsüchtigen Leute und der konservativen Politik zu desmaskieren.

Aber der Roman ist auch ein Roman über die Verwendung von Sprache, der zeigt, dass Sprache mehr ist als bloße Informationsvermittlung. Sprache ist auch Machtausübung, Interessenpolitik und Kampf. Genauso wie man mit Sprache belohnen kann, dann mit Sprache strafen und wie man ein Thema fördern kann, kann man es auch diffamieren. Hier geht es um einen Mann, der Sprache im Sinne von Orwells Neusprech anwendet und damit nur seine eigene Wahrheit (jene die nur ihn nützt) zum Ausdruck bringt. Der Titel „Vom Wesen der Götter“ von Ciceros Buch gleichen Titels, aus dem Jahre 45 v. Ch. (!), inspiriert, in dem es um die Themen geht, um die es bei ALA immer schon gegangen ist: Erinnerung, Alter, Tod, Postkolonialismus, Sexualität, das Göttliche, Liebe, Zeit. ALA nimmt das wieder auf und fügt den Aspekt der Kraft und der Wahrnehmung dessen, der Macht ausübt und der von ihr beherrscht wird, hinzu. 

Die Geschichte beschreibt die sogenannte Feine Gesellschaft (die in meiner Heimat auch schon mal Feine Sippschaft genannt wird), von der man alles erwarten darf, wenn es um der Erhalt ihrer bedrückenden Macht, der herrschenden Politik und des Kapitalismus geht. So wie Orwell Worte durch Worte ersetzte, ersetzte die Macht die alten Götter durch neue, die aber ebenso eine stillschweigend akzeptierte Herrschaft ausüben, die ebenso festlegen wer ihnen dient. Sie setzen dieselben Machthaber über gleichen Beherrschten und erhalten die Macht unversehrt durch den Lauf der Zeit. Diese neuen Götter richten sich andererseits an diejenigen, denen es an Macht, Ressourcen und Institutionen fehlt, um die etablierte Ordnung herauszufordern, und treiben sie dazu, sie anzunehmen und sich ihnen anzuschließen, indem sie ohne triftigen Grund ihre Träume aufgeben. Sie bringen Menschen dazu Clowns von Menschen zu sein, die über sie lachen und – was viel schlimmer ist – es faszinierend zu finden, von ihnen angespuckt zu werden.

Schlussbemerkungen: Ich gebe zu Protokoll, dass ich mehr als einmal versucht war, das Buch aus der Hand zu legen… doch jetzt, da ich es doch gelesen habe, kann ich sagen, dass es sich für mich doch gelohnt hat, weil die Bezüge zu unserem Jetzt so klar wurden. Schrecklich und doch auch faszinierend. Beim Lesen dieses, in unvergleichlicher Weise erzählten, Romans, muss man sich sehr konzentrieren, um den ständigen Wechsel der Perspektiven und Ansichten zu verarbeiten; das strengt an und macht hier und da ärgerlich. Ich kann mich irren, aber die Familiengeschichte in diesem Roman ist lediglich Staffage für den politischsten Roman, den ich von ALA bisher gelesen habe und man mag mir verzeihen, dass ich nicht näher auf die einzelnen Personen zu sprechen kam; da sie in unseren modernen Gesellschaften sehr austauschbar sind, meinte ich es sein lassen zu können.

Meine Faszination für die Romane Antonio Lobo Antunes´ ist seit Jahren ungebrochen und weil ich das nicht besser zum Ausdruck bringen kann, zitiere ich Verena Auffermann (Süddeutsche Zeitung): "Dass Antonio Lobo Antunes ein Meister ist, der wenig Konkurrenz zu fürchten hat, beweisen die Hymnen, die seit einigen Jahren seine Bücher begleiten. Seine Romane sind Verführungen, Besitz ergreifende Totalvereinnahmungen... Vielleicht kann niemand so melodisch die schäbigen und zeitlosen Gefühle der Menschen beschreiben wie er. Das ist das Zeichen großer verfallsdatumsfreier Literatur."

Vom Wesen der Götter
Antonio Lobo Antunes
Gebundenes Buch - 720 Seiten
Verlag: Luchterhand – Aus Oktober 2018
ISBN-10: 3630875718
ISBN-13: 978-3630875712