Im Horror des Alltags – Über den internationalen Kinderhandel. Teil II: Die Handelswege
Im Horror des Alltags – Über den
internationalen Kinderhandel.
Teil II: Die Handelswege
Das Geld zieht nur den Eigennutz an und
verführt stets
unwiderstehlich zum Missbrauch. Albert Einstein
unwiderstehlich zum Missbrauch. Albert Einstein
Nachdem ich im Teil I versuchte auf die Ursachen und Formen des Menschenhandels allgemein und speziell auf die Ursachen und Formen des Handels von Kindern in den Ländern der sog. Dritten Welt einzugehen, möchte ich mich in diesem Teil II noch ein wenig mit den Formen des Handels mit Kindern hier in Europa beschäftigen und einen Blick auf die internationalen und nationalen Handelswege – sozusagen die Vertriebsorganisation – werfen.
Wie
ich schon in Teil I darzustellen versuchte, geht es beim Handel mit Kindern um
internationale und organisierte Kriminalität. Ob bei Einzeltätern oder
organisierte Händlernetzwerken, das vorrangiges Motiv ist immer der
wirtschaftliche Gewinn. Wie sich dieser Profit in den Ländern der sog. Dritten
Welt erzielen lässt, setze ich als bekannt voraus: Mitarbeit in Werkstätten der
Zulieferer, in Haushalten oder Plantagen, in Steinbrüchen oder Fabriken, bei
der Prostitution und Pornographie, beim Stehlen oder Betteln…Das wirft horrende
Profite ab und so entstehen auch hierzulande Begehrlichkeiten; die auf den
ersten Blick nicht direkt mit dem Handel von Kindern zu tun haben. Es sollte
aber doch jedem einleuchten, dass z.B. die Absicht hohe Renditen durch den Handel
mit Aktien international operierender Konzerne zu erzielen, die in sog.
Billiglohnländern nachweislich Kinder ausbeuten, auch eine Form der Beteiligung
an den kriminellen Machenschaften des Handels mit Kindern ist.
Kinderhandel
auch in Europa
Die
Existenz dieser „Ware Kind“ ist allerdings keineswegs ein Problem der
Entwicklungsländer. Wenn ich hier von Europa schreibe, dann fühle ich selbst
den Reflex sofort an Osteuropa zu denken… allerdings ist dieser Reflex nur
vordergründig plausibel, denn ohne die Nachfrage in Westeuropa würden nicht
unzählige Mädchen und Jungen jährlich, zumeist aus Osteuropa, aber auch aus
afrikanischen und asiatischen Ländern, zu uns gelangen. Im Gegensatz zu den
Ländern der sog. Dritten Welt werden diese Kinder in Europa nicht oder sehr
selten im Produktionssektor eingesetzt. Sie werden vielmehr gleich in
kriminellen Milieus eingeschleust um als Diebe, Drogenkuriere oder
Prostituierte missbraucht zu werden.
Auch
wenn man die Zielländer nicht immer als reich bezeichnen kann, so sind sie aber
immerhin wohlhabender als die Heimatländer und stellen mit ihrem (oftmals nur
vorgegaukelten) Bedarf an billigen Dienstleistungen verschiedener Art einen
Anziehungspunkt für viele dar, die einen Weg aus der heimischen Misere suchen.
Dass es oft keine Zukunftsperspektive gibt, stellt sich erst heraus, nachdem
die Kinder ein Martyrium aus körperlicher und seelischer Gewalt, Demütigung,
Angst und völliger Entrechtung hinter sich haben. Aus oben genannten Gründen ist
grade Europa äußerst berüchtigt: Wer hier im kriminellen Milieu zu arbeiten
gezwungen ist, ist gleich „doppelt entrechtet“.
Kinderhandel
und Auslandsadoptionen
Für
die meisten Kinder, zumal für Mädchen, gibt es nicht einmal einen Weg zurück:
Sexuell ausgebeutete Kinder werden in vielen Kulturen zu Verstoßenen, andere
schämen sich, weil sie ihren Familien nicht das erwartete Geld bringen können.
Kinder, die schon mit vier Jahren verkauft wurden, können sich nicht mehr
erinnern, woher sie überhaupt kommen. Und viele Jungen und Mädchen bezahlen die
Strapazen der jahrelangen Ausbeutung mit ihrem Leben; unzählige Mädchen etwa,
die in Bordellen missbraucht wurden, leiden an Geschlechtskrankheiten oder sind
HIV-infiziert.
Eine
Nachfrage nach Kindern besteht außerdem in einem ganz anderen Bereich, der
zumal sogar im Ruf steht besonders sozial zu sein: In vielen westlichen Ländern
gibt es mehr Paare, die ein Kind adoptieren wollen, als es Babys gibt, die
Eltern benötigen. Aus dieser Nachfrage hat sich ein Markt entwickelt, auf dem
Kinder an den offiziellen Adoptionsstellen vorbei, häufig gegen hohe Summen,
vermittelt werden. Zwielichtige Organisationen, skrupellose Anwälte und eine
Einstellung, die das Eigeninteresse höher wertet als das Wohl des Kindes,
sorgen dafür, dass der Nachschub nicht abreißt. Selbst wenn dafür Kinder
geraubt oder gegenüber der Mutter nach der Geburt für tot erklärt werden. Man
nennt das nüchtern „illegale kommerzielle Adoptionen“ – der „Markt“ ist größer als
man denkt… und vor allem zahlungskräftig.
Routen
des Kinderhandels
Indien. Die häufigsten Formen
des Kinderhandels finden sich in Südasien. Zu den besonders verwundbaren
Gruppen zählen hier die Kinder aus benachteiligten ethnischen Minderheiten. In
Indien besteht eine dauernde Nachfrage nach Mädchen und jungen Frauen für
Bordelle und in Gebieten mit viel Sextourismus. Die Opfer, darunter auch
Jungen, stammen aus Bangladesch, Nepal und Indien. Zudem ist in Indien das Phänomen
der religiösen Prostitution verbreitet. Beim Devadasi-Kult werden junge Mädchen im Alter von fünf bis neun Jahren, meist aus den armen
Familien der unteren Kasten stammend, durch eine Zeremonie in einem Tempel mit
der Gottheit „verheiratet“. Nach dieser Zeremonie bleiben sie im Tempel, um Männern
als Prostituierte zu dienen.
Verbreitet
ist auch die Schuldknechtschaft: Kinder müssen die Schulden ihrer Eltern
abarbeiten und arbeiten unter ausbeuterischen Verhältnissen in der Fischerei,
in der Textilindustrie, bei der Hausarbeit, in der Landwirtschaft, im
Baugewerbe und im Handwerk. „Gehandelte Mädchen“ werden im Norden Indiens
außerdem als Tänzerinnen in der Vergnügungsindustrie eingesetzt, während Jungen
als Kameljockeys in die Golfstaaten verkauft werden. Mädchen und junge Frauen
werden sowohl innerhalb Indiens als auch außerhalb des Landes als Ehefrauen
verkauft. Kinder werden außerdem an ausländische Paare zur Adoption vermittelt/
verkauft.
Südostasien. Kinderhandel in
Südostasien existiert innerhalb der Grenzen eines Landes wie auch
grenzüberschreitend. Als Arbeitskräfte missbraucht werden Kinder in den
Bereichen Industrie, Fischerei, Landwirtschaft, Viehzucht, Textilverarbeitung
und Handwerk sowie als Haushaltshilfen. Des Weiteren werden „gehandelte Kinder“
zu illegalen Tätigkeiten wie Betteln, Straßenhandel und Drogenhandel gezwungen. In Thailand sind die Opfer dieser Form der Ausbeutung extrem jung, da ab dem
14. Lebensjahr bei Drogenhandel die Todesstrafe droht. Vietnam ist weltweit
eines der Hauptherkunftsländer für Adoptionen. Die Neugeborenen werden nach
Nordamerika, Europa und Australien verkauft. Ebenfalls aus Vietnam stammen
viele Mädchen, die zur Zwangsheirat nach China, Europa, Macao oder Taiwan
gehandelt werden.
In
den Bürgerkriegsregionen von Indonesien, Burma und den Philippinen werden
verschleppte Kinder für staatliche Armeen oder andere bewaffnete Gruppen eingesetzt.
In Südostasien erreicht der Kinderhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung das
größte Ausmaß. Hauptdrehscheibe in dieser Region ist Thailand, wo Kinder aus
den ländlichen Gebieten, aus Burma, Kambodscha, Laos, Südchina und Osteuropa zur Prostitution in die Großstädte und Touristengebiete gebracht
werden. Thailändische Kinder wiederum gelangen nach Malaysia, Hongkong, Taiwan
und Japan. Auf den Philippinen und in Indonesien werden Kinder aus den
ländlichen Regionen in die Großstädte gebracht und zur Prostitution gezwungen.
Des Weiteren gelangen philippinische Mädchen in arabische Länder, wo sie als
Hausmädchen
ausgebeutet werden.
ausgebeutet werden.
Westafrika. In Westafrika werden
Jungen aus Burkina Faso und Mali an die Elfenbeinküste oder nach Ghana zur
Ausbeutung ihrer Arbeitskraft auf Plantagen gehandelt. Mädchen aus Benin, Mali,
Togo und Burkina Faso werden in die westafrikanischen Nachbarländer, die Golf-Staaten
oder nach Europa verkauft, wo sie als Dienstmädchen schuften müssen. Viele
Kinder entschließen sich selbst, ihre Dörfer zu verlassen und geraten dann in
die Hände von Schleppern und Vermittlerinnen, welche die regionale Tradition
der Wanderarbeit ausnutzen, um ihre Opfer gezielt in sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse zu locken. Kinderhandel
findet jedoch auch innerhalb des Landes, z.B. von den ärmeren in wohlhabendere
Gegenden Burkina Fasos, statt. Eine andere Form der Ausbeutung betrifft die
Koranschüler, die Talibé: Statt einer religiösen Ausbildung, Arbeit und
Unterkunft werden sie von ihren Lehrern gezwungen, täglich eine bestimmte Summe
zu erbetteln und abzuliefern. Manche Koranlehrer vermieten auch die Arbeitskraft
ihrer Schüler.
Südliches
Afrika.
Südafrika ist eine Drehscheibe des Geschäfts mit Kindern in der Region. Von
hier werden Kinder, die aus Sambia, Kenia, Senegal, Tansania, Uganda, Angola
und Mosambik stammen, nach Südostasien in die Prostitution weiterverkauft.
Südafrika ist aber auch Zielland für Mädchen aus Südostasien und den
osteuropäischen Staaten. Des Weiteren werden Kinder zum Zwecke der Ausbeutung
durch Arbeit und in illegale Tätigkeiten gehandelt. Sie müssen als
Haussklavinnen oder im Kleingewerbe schuften. Wenn sie von Banden rekrutiert
werden, sind sie gezwungen, Diebstähle zu begehen, Drogen zu handeln oder in illegalen Bars zu arbeiten. Mädchen werden auch von Familie zu Familie verkauft,
um unter dem Vorwand der Heirat sexuell missbraucht zu werden.
Süd-
und Mittelamerika.
Aus Mittel- und Südamerika werden Kinder im Rahmen kommerzieller Adoptionen
nach Nordamerika und Europa verkauft. Auch Fälle des Handels von Minderjährigen
zum Zwecke des kommerziellen sexuellen Missbrauchs in den Vereinigten Staaten,
Europa oder Ostasien sind bekannt geworden. Zur Arbeit als Hausmädchen und zur
Ausbeutung in Fabriken, auf Baustellen und in der Landwirtschaft gelangen
Kinder aus Ecuador, Peru und Bolivien in den Norden Chiles sowie nach
Argentinien und Brasilien. Besonders in den weitgehend rechtsfreien sog.
Exportproduktionszonen (EPZ), die oft von privaten Sicherheitsdiensten mit
Waffengewalt abgeschirmt werden, lassen sich Kinder „besonders gut“ ausbeuten.
Im
Verhältnis zur eigenen Größe ist Bolivien eines der Hauptentsendeländer in
Südamerika. Aus den vorwiegend ländlichen Gebieten werden die Kinder in andere
Regionen des Landes oder aber in die Nachbarländer transportiert, wo sie oft im
Haushalt, in der Landwirtschaft, im Straßenhandel sowie im industriellen und handwerklichen Bereich mehr als zwölf Stunden unter widrigsten Verhältnissen
schuften müssen. Auch die kommerzielle Adoption ist in Bolivien ein
florierendes Geschäft. Die Kinder werden überwiegend nach Nordamerika und
Südeuropa vermittelt. In Mittelamerika ist Guatemala ein zentrales Transitland,
von wo aus, Kinder aus Honduras, El Salvador und Nicaragua zu Zwecken der
kommerziellen Adoption oder Prostitution nach Mexiko, Nordamerika und
Westeuropa gehandelt werden.
Europa. Die in EU-Mitgliedstaaten
ausgebeuteten Kinder stammen zunehmend aus ost- und südosteuropäischen Ländern.
Aber auch Mädchen aus Afrika und Asien zieht es auf der Suche nach einem besseren
Leben nach Europa. In den europäischen Ländern ist ein Kind erst mit 14 Jahren
strafmündig… so werden die sinnvollen Schutzgesetze zur Falle. Genau hier liegt
der Grund, dass die Opfer der Kinderhändler oft zu Diebstählen gezwungen, als
Drogenkuriere eingesetzt und in der Prostitution missbraucht werden. Besonders
in Großbritannien und Frankreich – mit ihrer kolonialen Vergangenheit – werden
immer wieder Fälle von Haussklavinnen aufgedeckt, die aus afrikanischen Ländern
mit falschen Versprechungen nach Europa gelockt wurden.
Fazit
Ob
es sich um zwangsprostituierte Mädchen aus Osteuropa oder minderjährige
Teppichknüpfer in Indien handelt: Immer wieder ist es das wirtschaftliche
Ungleichgewicht in der Welt, das das lukrative Geschäft mit Kindern begünstigt
– auch wenn es regional verschieden ausfällt. In den so genannten
Entsendeländern ist ein Großteil der Bevölkerung von Armut betroffen.
Arbeitslosigkeit und soziale Unsicherheit treiben viele in die Migration,
traditionelle familiäre Strukturen lösen sich auf. Im Visier der Kinderhändler
sind in der Regel Jungen und Mädchen, die aus schwierigen Lebensverhältnissen kommen oder Angehörige ethnischer Minderheiten
sind. Fehlende Hilfsangebote und mangelnde Entschlossenheit auf staatlicher
Seite, gegen Kinderhandel vorzugehen, erleichtern das profitable Spiel der
Händler. Lücken in der nationalen Rechtsprechung, die das Phänomen häufig nicht
einmal strafrechtlich erfasst, begünstigen das. Es ist die Schande des 21.
Jahrhunderts, dass wir bei all dem zuschauen oder uns gar beteiligen…
Wilfried
John
Es
folgt im Teil III ein Blick auf eine mögliche, ganz private, Gegenwehr gegen
die organisierte Kriminalität des Kinderhandels.
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