Wer E sagt, muss auch U sagen – Über die Verträge von Lissabon Teil V: Vaclav Klaus gibt auf
Wer E sagt, muss auch U sagen – Über die
Verträge von Lissabon
Teil V: Vaclav Klaus gibt auf
Auf die Füße kommt unsere Welt erst wieder,
wenn sie sich beibringen
lässt, dass ihr Heil nicht in neuen Maßnahmen, sondern in neuen
Gesinnungen besteht. Albert Schweitzer
lässt, dass ihr Heil nicht in neuen Maßnahmen, sondern in neuen
Gesinnungen besteht. Albert Schweitzer
Nach dem
die sog. EU-Reform-Politiker – allen voran die Deutsche und Französische
Konservative, aber auch die Deutsche und Britische Sozialdemokratie – auf den
Tschechischen Präsidenten jahrelang politisch eingeprügelt haben, hat Klaus die
Nerven verloren und versprach, sich dem Urteil des tschechische
Verfassungsgerichtshof – an dem mehrere Klagen von EU-Kritikern anhängig waren
– zu beugen. Am Dienstag verwarf das Gericht die Klagen und urteilte: Der
Lissabonner Vertrag ist mit Tschechiens Verfassung vereinbar.
Ein
Seufzer der Erleichterung presste sich aus den Kehlen der Europäischen
Nomenklatura. Es naht der Zeitpunkt, da die Europäische Union sich in der
(wirtschaftlichen) Rivalität mit den Groß- und Schwellenmächten dieser Erde als
ein gemeinsam handelnder politischer Akteur präsentieren kann, der schneller
als bisher zu Entscheidungen findet und durch zwei Spitzenrepräsentanten besser
sichtbar wird. Denn noch hat Klaus nicht unterschrieben.
Jahrelanger
Streit
Jahrelang
ging der Streit darum, ob diese Reform die Souveränität der Einzelstaaten
beschränke. Es ist kein Zufall, dass gerade in Tschechien besondere Bedenken
erhoben wurden. Das Land hat bis 1918 unter der jahrhundertelangen Herrschaft
der Habsburger und dann ab 1938 unter den Nazis, ab 1948 unter den Kommunisten
auf verschiedene Weise erlebt, was eine Fremdbestimmung von außen bedeutet. Man
muss diese historische Erfahrung, die in abgewandelter Form auch andere mittel-
und osteuropäische Länder teilen, sehr ernst nehmen. Vor allem meine ich damit ausdrücklich auch Polen; auch für dieses Land sind die Vorgänge in Tschechien exemplarisch.
und osteuropäische Länder teilen, sehr ernst nehmen. Vor allem meine ich damit ausdrücklich auch Polen; auch für dieses Land sind die Vorgänge in Tschechien exemplarisch.
Gleichwohl
bleibt festzuhalten: Die 17 Senatoren, die das Verfassungsgericht angerufen
hatten und jetzt endgültig unterlagen, sowie der EU-kritische Präsident Vaclav
Klaus vertreten heute in Tschechien eine Minderheit. Das Parlament hat dem
Lissabonner Vertrag mit großer Mehrheit zugestimmt, das Volk ihn in Umfragen
gebilligt. Dabei muss aber auch gesagt werden, dass das Prädikat „EU-kritisch“
– auf die Klageführer angewendet – eigentlich falsch ist: Es handelt sich um Nationalisten,
die Europa einfach ablehnen.
EU-kritisch
wäre, wenn man sich grundsätzlich ein (vereinigtes) Europa wünscht, aber die
Ausformung im Tenor der Lissabonner Verträge nicht billigt (siehe auch die
Kritikpunkte im Teil III). Den sog. Tschechischen Kritikern ging es aber nicht
darum die neoliberale Grundhaltung dieser Verträge zu ändern, sondern es ging
um Konservierung der sog. Benes-Dekrete, in denen die Tschechen nach dem 2.Weltkrieg
regelten, dass jene mehr als drei Millionen Deutschen und Ungarn, die ab 1945
aus der Tschechoslowakei vertrieben worden sind, alle Ansprüche an Tschechien verloren
haben.
Jene
17 Senatoren und der Präsident mutmaßten, dass besonders die sog. Deutschen
Vertriebenen alte Rechnungen präsentieren. Nun, man darf den Tschechen diese
Befürchtungen nicht ganz verdenken, denn die sog. Vertriebenenverbände (und mit
ihnen die Deutsche Konservative) haben jahrzehntelang angekündigt genau das tun
zu wollen. Doch muss man auch sagen, dass diese Stimmen in den letzten Jahren
sehr leise geworden sind.
Probleme
bleiben
Man
hat in Europa gegenüber Polen und Tschechien politisch so reagiert, wie man es
schon gegenüber den Nein-Sagern in Irland, Frankreich und den Niederlanden
getan hat: Mit Zugeständnissen. Was für Polen und Großbritannien recht ist –
dachte man sich – ist für Tschechien billig… und beschloss beim EU-Gipfel
vergangene Woche in Brüssel eine Ausnahmeklausel im Lissabonner Vertrag, die
garantiert, dass die Tschechien gegen mögliche Rückgabeansprüche von
Sudetendeutschen geschützt ist (die Menschenrechts-Charta wurde erneut
eingeschränkt).
Eines
allerdings hat die Schlussphase der Prozedur noch einmal drastisch vor Augen
geführt. Trotz aller Integrationsfortschritte bleiben zwischen Nachbarländern
in der EU ungelöste Probleme bestehen, die bis heute das Klima vergiften
können. Dazu gehören die Auseinandersetzungen Ungarns mit seinen Nachbarn in
der Slowakei, Rumänien und Serbien. Man sollte gerade in einer konsolidierten
und in ihrem Zusammenhalt gestärkten EU Gelegenheit finden, nun über diese
Fragen noch einmal offen und vertrauensvoll zu reden, um sie endgültig zu
klären.
Unterzeichnungsdatum
– und anderes – noch unklar
Offen
ist nun, wann Präsident Klaus den Reformvertrag unterzeichnet. Denkbar ist,
dass er das Abkommen noch am Dienstag vor einer USA-Reise ratifiziert oder erst
nach seiner für Sonntag erwarteten Rückkehr. Damit der Vertrag EU-weit in Kraft
treten kann, müssen die Ratifizierungsurkunden von allen Mitgliedsstaaten in
Rom hinterlegt sein. Dann tritt der Vertrag zum nächsten Monatsersten in Kraft,
die EU hofft auf den 1. Dezember; ca. zwei Jahre nach dem feierlichen Akt von Lissabon.
Aber ob es nun der 1. Dezember 2009 oder der 1. Januar 2010 ist bleibt einerlei. Fest steht, dass die EU zukünftig mit den Verträgen von Lissabon quasi neu verfasst sein wird. Dabei gibt es mir zu denken, wenn gerade der Neoliberalist und Deutsche Außenminister Guido Westerwelle sagt: "Das ist ein guter Tag für Europa. Europa braucht den Vertrag von Lissabon, um endlich neue Handlungsfähigkeit zu gewinnen." Es hört sich an wie eine Drohung.
Aber ob es nun der 1. Dezember 2009 oder der 1. Januar 2010 ist bleibt einerlei. Fest steht, dass die EU zukünftig mit den Verträgen von Lissabon quasi neu verfasst sein wird. Dabei gibt es mir zu denken, wenn gerade der Neoliberalist und Deutsche Außenminister Guido Westerwelle sagt: "Das ist ein guter Tag für Europa. Europa braucht den Vertrag von Lissabon, um endlich neue Handlungsfähigkeit zu gewinnen." Es hört sich an wie eine Drohung.
Und
so wird hinter den Kulissen schon kräftig an den Strippen gezogen, wer
zukünftig als Ratspräsident fungieren soll. Die politische Konstellation nach
den Europawahlen 2009 ist nun mal so, dass die Konservativen und die
Liberalisten einen der ihren durchsetzen können. Toni Blair war zwar lange im
Gespräch, ist aber jetzt offensichtlich gänzlich aus dem Rennen. Der Luxemburger
Junkers hatte beste Karten (überzeugter Europäer, viel EU-politische Erfahrung,
Charisma...), wird es aber wohl auch nicht, weil er zu den übrigen positiven
Eigenschaften auch noch eine eigene Meinung hat und einigen der Großkopferten
(in Deutschland, Frankreich und GB) schmerzhaft auf die Füße stieg.
Er
wäre der Einzige der Konservativen, den ich wohlwollend und sogar gern im Amt
gesehen hätte. Stattdessen ist nun der Belgische Premier im Gespräch. Er ist
europäisch bislang noch nicht in Erscheinung getreten, hat keine EU-politische
Erfahrung und eine Meinung ist auch nicht bekannt. Offensichtlich bevorzugen
oben genannte Großkopferten diesen Mann, weil sie glauben mit ihm machen zu
können was sie wollen. Das zeigt wenigstens um was es geht: Es geht um
Interessenpolitik der wirtschaftlich dominierenden Mitglieder (also um
Wirtschaftsinteressen).
Auch
die zukünftige Besetzung für das Amt des "Hoher Vertreter der Union für
Außen- und Sicherheitspolitik" (kurz: der Europa-Außenminister) ist noch keine
klare Personalie erkennbar. Gemäß Parteienproporz wird es wohl an die
Sozialisten gehen.
Zum
Schluss
Der
Abschluss des Lissabon-Prozesses ist besiegelt. Doch ganz gleich wie man auch
immer zu diesem Vertragswerk steht, es besteht kein Anlass zum Jubeln oder zum Verzagen.
Solche Verträge, das hat die Geschichte gezeigt, sind nicht in Erz gegossen
oder in Stein gemeißelt. Da der wahre Antrieb hinter der EU, in der derzeitigen
Ausgestaltung, immer eher wirtschaftlicher Natur war, du sich an den Interessen
nichts geändert hat, wird auch der Interessenausgleich auf der Tagesordnung bleiben.
Es
ist jedenfalls sicher, dass die Begehrlichkeiten des Kapitals niemals als endgültig
befriedigt angesehen werden dürfen; es liegt einfach in der Natur des Systems,
dass es niemals genug bekommt. So ist es jetzt die politische Aufgabe der
EU-kritischen Kräfte, in ihrem Streben nach mehr sozialer Ausgestaltung der EU
nicht nachzulassen. Es ist immer ein gesellschaftlicher Prozess, der von den
jeweiligen Kräfteverhältnissen bestimmt wird. Es liegt also an den Kritikern
der neoliberalen Ausformung der EU, für andere Kräfteverhältnisse zu sorgen.
Ich
bin sicher, dass sich die – für die sozial Schwachen – negativen Auswirkungen
dieses Vertragswerkes bald zeigen werden. Daraus kann politisches Kapital
geschlagen werden. Ich will ein Europa, das seine ureigenste Erfindung – den
Sozialstaat – nicht sang- und klanglos aus dem Schriftstück streicht, das
einmal die Verfassung eines vereinten Europa werden KÖNNTE. Angesichts der
aktuellen Krise (die wegen all der Deregulierungen so dramatisch groß wurde),
muss man feststellen: Die Zeit ist über die Lissabonner Verträge hinweg
gegangen und hat sie
klein getrampelt. Sie sollten nun, unter Berücksichtigung der "neuen Erkenntnisse", gründlich überarbeitet werden. Das ist die Aufgabe, die bevorsteht.
klein getrampelt. Sie sollten nun, unter Berücksichtigung der "neuen Erkenntnisse", gründlich überarbeitet werden. Das ist die Aufgabe, die bevorsteht.
Wilfried
John
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