Komm, spielen wir Schicksal – Über Ausbeutung von Kindern Teil I - Ein Überblick

Komm, spielen wir Schicksal – Über Ausbeutung von Kindern
Teil I - Ein Überblick


Es gibt keine großen Entdeckungen und keinen Fortschritt, solange es
noch ein unglückliches Kind auf der Welt gibt.
Albert Einstein

Schicksal. Sehr viele Menschen meinen, das Leben würde vom Schicksal bestimmt. Und was da nicht alles als schicksalhaft angesehen wird… Mit Schicksal wird alles das bezeichnet, was durch äußere und innere Faktoren nicht beeinflussbar zu sein scheint. Doch untersucht man die uns umgebenden Phänomene aber mit dem Kriterium der Unbeeinflussbarkeit, dann bleibt von dem was Schicksal genannt werden sollte recht wenig übrig. Bei genauerer Betrachtung kommen dafür nicht einmal alle Naturkatastrophen in Betracht, da einige nur deswegen entstehen, weil die Menschen wider besseres Wissen z.B. Bergwälder in den Alpen fällten und dann das Schicksal des Lawinentoten beklagen.

Ganz gewiss nicht schicksalhaft jedoch, ist die Situation von vielen Millionen Kinder auf diesem Planeten; wenngleich ihr Leben aus der Sicht vieler dieser Kinder sicher als schicksalhaft angesehen wird. Doch das wäre nur dann vollständig richtig, wenn wir sie in diesem Elend allein lassen würden und stillschweigend über ihr Leid hinweg gingen. Dieser Artikel ist all jenen Kindern gewidmet, die überall schlimmster Ausbeutung preisgegeben sind – er entstand anlässlich der diesjährigen Aktionstage der UNICEF gegen Ausbeutung von Kindern, die in vielen deutschen Städten auf das Los dieser Kinder aufmerksam machen wollen. 

Vor zehn Jahren verabschiedete die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) die Konvention 182 gegen die schlimmsten Formen der Kinderarbeit. Das Dokument gehört zu den am schnellsten ratifizierten Konventionen der ILO. Bis heute haben 170 Staaten unterzeichnet. Viele Regierungen haben seither Gesetze zum Schutz von Kindern vor ausbeuterischer Arbeit erlassen. Kinderarbeit wurde – endlich – ein international stärker beachtetes Thema. Pilotprojekte der ILO drängten ausbeuterische Kinderarbeit in einigen Branchen zurück und brachten Arbeitgeber, Gewerkschaften und Regierungen an einen Tisch.
Kinderarbeit – ein Überblick 
Nach Schätzungen der ILO sind weltweit 327 Millionen Kinder erwerbstätig. Mehr als 210 Millionen Jungen und Mädchen sind nach dieser Statistik Kinderarbeiter; das heißt, diese Kinder arbeiten regelmäßig mehrere Stunden. Unter ihnen sind 126 Millionen Kinder unter 15 Jahren, die unter gefährlichen und ausbeuterischen Bedingungen schuften. Viele von ihnen schuften wie Sklaven und werden wie eine Ware gehandelt.
Leider steht zu befürchten, dass die Zahlen noch höher sind, da diese Statistik auf der Basis der Informellen Infrastruktur (Geburtenregister, Einwohnermeldeämter etc.) der Mitgliedsländer erhoben wurden. Aber leider haben viele Millionen Menschen gar keinen Zugang zu dieser Daten-Infrastruktur. Menschenrechtsorganisationen berichten regelmäßig, dass ein erheblicher Teil der Geburten gar nicht erfasst würden und so ist überhaupt nicht bekannt, wie viele Kinder es auf der Welt überhaupt gibt. Der Fehler liegt also in der nicht erfassten Zahl von vielleicht Millionen von Kindern – Kinder ohne jedes Recht, ohne jede öffentliche Beachtung, ohne Zukunft… oder einer Zukunft, die alles andere als erstrebenswert ist. 
In vielen Produkten steckt die Arbeit von Kindern. Kinder schleifen Diamanten, arbeiten in Steinbrüchen und stickigen Fabriken oder schuften auf Plantagen. Der Besuch einer Schule bleibt für viele Kinder ein unerreichbarer Traum. Krasse Ausbeutung von Kindern und Erwachsenen gibt es schon lange – und in immer neuen Facetten und Ausprägungen. Ziemlich neu aber ist, dass massenhafter Wohlstand neben erbärmlichster Armut steht und dass Erstere von den anderen wissen – und dennoch nichts tun. Allerdings macht es aber keinen Sinn, Arbeit von Kindern pauschal zu verteufeln. 
Zur Definition von Kinderarbeit und Ausbeutung 
Nicht jedes Kind, das arbeitet, wird ausgebeutet. Nicht jede Form der Kinderarbeit muss bekämpft werden. In vielen Gegenden der Welt hat die Mitarbeit von Kindern eine wichtige Funktion in der Erziehung: Kinder wachsen so in ihre spätere Rolle hinein und übernehmen mit ihren wachsenden Fertigkeiten Stück für Stück Verantwortung. Allerdings darf solche Arbeit nicht in Ausbeutung münden. 
Eine international anerkannte Definition von ausbeuterischer Kinderarbeit liegt seit 1999 mit der ILO-Konvention 182 gegen die schlimmsten Formen der Kinderarbeit vor. Im Zusammenhang mit der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen ergeben sich so die wichtigsten Gesichtspunkte für einen Überblick auf Kinderarbeit frei von Ausbeutung – im Zentrum steht dabei die Verfassung und die Persönlichkeit jedes einzelnen Kindes und die Frage, ob Arbeit die Bildungschancen beeinträchtigt. 
Ausbeuterische Kinderarbeit ist laut ILO-Konvention 182: 
> Sklaverei und Schuldknechtschaft und alle Formen der Zwangsarbeit
> Arbeit von Kindern unter 13 Jahren
> Kinderprostitution und -pornographie
> der Einsatz von Kindern als Soldaten
> illegale Tätigkeiten, wie zum Beispiel Drogenschmuggel
> Arbeit, welche die Gesundheit, die Sicherheit oder die Sittlichkeit gefährdet, also zum Beispiel Arbeit in Steinbrüchen, das Tragen schwerer Lasten oder sehr lange Arbeitszeiten und Nachtarbeit. 
Wie oben schon bemerkt, weiß niemand genau, wie viele Kinder arbeiten: Besonders die schlimmsten Formen der Kinderarbeit finden in jeder Hinsicht im Verborgenen statt. Die ILO hat im Frühjahr 2006 einen Bericht über die Situation der Kinderarbeiter vorgelegt: „Das Ende der Kinderarbeit - zum Greifen nah“ Ganz davon abgesehen, dass allein der Titel wenigstens als Schönfärberei zu sehen ist (Naivität scheidet aus, da man das der Organisation nicht unterstellen kann…), und man 2006 noch nichts von der aktuellen weltweiten Finanzkrise wusste (welche die erreichten Verbesserungen sämtlich zerstört hat!), enthält der Bericht Einzelheiten, die für eine sachliche Debatte notwendig sind. Die ILO unterscheidet im Bericht drei Kategorien: 
Ø  Erwerbstätige Kinder: Alle Kinder, die mindestens eine Stunde an einem Tag arbeiten, innerhalb eines Referenzzeitraums von sieben Tagen. (Anmerkung *1)
Ø  Kinderarbeiter: Die ILO-Statistiker grenzen im Weltreport diese Form der Arbeit von der erwerbstätiger Kinder ab. Nicht unter die Kategorie »Kinderarbeit« fallen demnach Kinder über zwölf Jahren, die einige Stunden pro Woche eine erlaubte leichte Arbeit verrichten, sowie Kinder über 15 Jahren, deren Arbeit als nicht gefährlich« eingestuft ist. (Anmerkung*2)
Ø  Kinder in gefährlicher Arbeit: Kinder, die Tätigkeiten verrichten, die ihrer Natur nach schädlich für die Sicherheit, die körperliche oder seelische Gesundheit und die sittliche Entwicklung des Kindes sind. Gefahren können auch von übermäßiger Arbeitsbelastung, den physischen Arbeitsbedingungen und der Arbeitsintensität (Arbeitsdauer) ausgehen. (Anmerkung*3) 
In folgenden Produkten kann ausbeuterische Kinderarbeit stecken:

a)    Lebensmittel
Kinderarbeit bei Anbau, Ernte und zum Teil bei der Weiterverarbeitung Bananen, Gewürze, Kaffee, Kakao, Orangensaft, Reis, Schokolade, Süßigkeiten, Tee, tropische Früchte, Zucker (aus Zuckerrohr). 
b) Konsumgüter und Dienstleistungen
Bekleidung und Berufsbekleidung (Anbau von Baumwolle, Seidengewinnung, spinnen, färben, nähen, verpacken); Blumen (Anbau und Ernte); Diamanten, Edelsteine, Strass (Schneiden und schleifen); Feuerwerkskörper (Fertigung); Fußbälle und andere Lederbälle (Nähen); Handys und Telekommunikation (Gewinnung von Coltan); Heimtextilien z.B. Tischwäsche, Gardinen, etc. (Anbau von Baumwolle, Seidengewinnung, spinnen, färben, nähen, verpacken); Kosmetik (Rohstoffgewinnung); Sportbekleidung (Anbau von Baumwolle, spinnen, färben, nähen, verpacken); Schuhe/ Sportschuhe (Gerbereien, Fertigung, verpacken); Natursteine z.B. Bau- und Grabsteine (Arbeit in Steinbrüchen, schneiden und polieren); Teppiche (Wolle spinnen, Teppiche knüpfen, waschen); Tourismus/Gastronomie (Putzen, Gepäcktragen, kellnern, kochen, spülen). U.a.m. 
Schlussbemerkung erster Teil 
Es steht fest, dass hinter der mit der notwendigen Sachlichkeit geführten Debatte die nackte Not den Alltag vieler Millionen Kinder prägt und wir sollten es nicht allein den internationalen Organisationen überlassen, etwas gegen dieses Leid zu tun – oft tritt dabei das Phänomen „Lange Bank“ zutage. Insofern ist es für diese Kinder gut, wenn wir auch mit dem Herzen sehen und unseren Emotionen Raum geben, wenn wir uns aufregen und einmischen, wenn wir Verantwortliche anprangern… und uns auch selbst prüfen. Wenn wir uns fragen, warum das alles so bleibt, wo doch alle drüber Bescheid wissen, muss uns das doch wütend machen… 
Wilfried John 
Teil II befasst sich mit der Frage warum Kinder ausgebeutet werden.
Anmerkung *1
»Erwerbstätigkeit« nach Definition der ILO: »"Erwerbstätigkeit" ist ein dehnbarer Begriff, der die meisten produktiven Tätigkeiten von Kindern umfasst, ungeachtet dessen, ob sie für den Markt bestimmt sind oder nicht, bezahlt oder unbezahlt sind, ob es sich um einige wenige Stunden oder eine vollzeitliche, Gelegenheits- oder reguläre Arbeit handelt und ob sie rechtmäßig oder unrechtmäßig ist; häusliche Pflichten und Schularbeit schließt dieser Begriff aus. Als erwerbstätig gilt ein Kind, das mindestens eine Stunde an einem Tag innerhalb eines Referenzzeitraums von sieben Tagen arbeitet. "Erwerbstätige Kinder" ist weniger eine rechtliche als vielmehr eine statistische Definition.« 
Quelle: Das Ende der Kinderarbeit – Zum Greifen nah. Gesamtbericht im Rahmen der Folgemaßnahmen zur Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit, Internationales Arbeitsamt, Genf, 2006, S. 6
Anmerkung *2
»Gefährliche Arbeit« nach Definition der ILO: »Von Kindern verrichtete "gefährliche Arbeit" ist jede Tätigkeit oder Beschäftigung, die sich ihrer Natur nach schädlich auf die Sicherheit, die körperliche oder seelische Gesundheit und die sittliche Entwicklung des Kindes auswirkt oder auswirken kann. Gefahren können auch von einer übermäßigen Arbeitsbelastung, den physischen Arbeitsbedingungen und/oder der Arbeitsintensität im Sinne von Arbeitsdauer oder geleisteten Arbeitsstunden ausgehen, selbst dann, wenn eine Tätigkeit oder Beschäftigung als nicht gefährlich oder als "sicher" gilt. Diese Arten von Arbeit müssen auf nationaler Ebene nach dreigliedrigen Konsultationen in einer Liste erfasst werden.« 
Quelle: Das Ende der Kinderarbeit – Zum Greifen nah. Gesamtbericht im Rahmen der Folgemaßnahmen zur Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit, Internationales Arbeitsamt, Genf, 2006, S. 6 
Anmerkung *3 
»Kinderarbeit« nach Definition der ILO: »"Kinderarbeit" ist ein engerer Begriff als "erwerbstätige Kinder"; er schließt alle Kinder über 12 Jahren aus, die nur einige Stunden pro Woche eine erlaubte leichte Arbeit verrichten, sowie Kinder über 15 Jahren, deren Arbeit nicht als "gefährlich" eingestuft wird. Grundlage für den Begriff der "Kinderarbeit" ist das IAO-Übereinkommen (Nr. 138) über das Mindestalter, 1973, das die umfassendste und maßgeblichste internationale Definition des Mindestalters für die Zulassung zu Beschäftigung oder Arbeit im Sinne einer "Erwerbstätigkeit" enthält. - 4 Siehe IPEC: Every child counts, a.a.O., S. 29-34.« 
Quelle: Das Ende der Kinderarbeit – Zum Greifen nah. Gesamtbericht im Rahmen der Folgemaßnahmen zur Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit, Internationales Arbeitsamt, Genf, 2006, S. 6

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