Frieden lernen in Gaza – Zum Internationalen Jahr der Aussöhnung Teil 3 "Keine Gewinner"
Frieden lernen in Gaza – Zum Internationalen
Jahr der Aussöhnung
Teil III. Keine Gewinner
Wer über gewisse Dinge nicht den Verstand
verliert,
der hat keinen zu verlieren
Gottfried Ephraim Lessing
der hat keinen zu verlieren
Gottfried Ephraim Lessing
Es gibt letztlich keine Gewinner
Allen, die einigermaßen klar bei Verstand sind und NICHT in den Verstrickungen
der Interessen im Nahen Osten gefangen, sind sich darüber einig, dass es als
Ergebnis des Krieges auch diesmal keine Gewinner, sondern nur Verlierer geben
wird. Weder das israelische noch das palästinensische Volk wird seinen Frieden gewinnen,
sondern die Völker verlieren weiterhin ihre Gesundheit, ihre Gliedmaßen und ihr
Leben. Und die Regierenden? Auch sie werden letztlich Verlierer. Weder kann
Israel die Hamas eliminieren, noch können die Araber die Israelis „ins Meer
jagen“; was übersetzt so viel bedeutet wie keine Sicherheit für Israel und
keine Legitimationsverlust der Hamas in den eigenen Reihen.
Es ist jetzt vor allem
erforderlich, auch für Israel sei es sehr wichtig, möglichst bald zu einem
Waffenstillstand zu kommen und über politische Perspektiven für Gaza und ganz
Palästina weiter zu verhandeln. Denn je länger die Hamas in den Krieg
verwickelt ist, desto mehr gewinne sie Sympathien bei den Menschen, die sie
vorher nicht einmal im Ansatz positiv gefunden haben; was Kompromisse
schwieriger macht. Die westliche Welt, allen voran die alten und neuen
Kolonialmächte, müssen aufhören, in diesem Konflikt schwarz-weiß zu malen und berücksichtigen,
warum Hamas überhaupt existiert… und warum die Palästinenser sie (in einer
anständigen, von der EU beobachteten Wahl) gewählt worden ist.
Das Einfrieren
palästinensischer Gelder seit 2006 führte zum Zusammenbruch der
Palästinensischen Autonomiebehörde und war ein Hauptgrund für die militärische
Machtergreifung der Hamas. Nicht wegen ihres islamistischen Parteiprogramms
oder ihrer Anschläge, sondern weil sie vielen Palästinensern als weniger
korrupt erscheint und nicht den Eindruck macht, als verkaufe sie die
Palästinenser. Tausende Tote, Verletzte und Traumatisierte auf palästinensischer
und einige auch auf israelischer Seite… allesamt direkte Verlierer; dazu kommen
die indirekten Verlierer, nämlich ihre Angehörigen, Freunde und die
Gesellschaft, denen sie fehlen, verloren gingen oder die nichts mehr von ihnen
hat.
Heute hörte ich den Satz: Ein Waffenstillstand in Gaza ist nah, weil der Preis für den Krieg zu hoch geworden ist. Wie bedauerlich! Entweder hat der Sprecher dieses Satzes nur die wirkliche Situation beschreiben wollen oder er denk wie die zynischen Kosten-Nutzen-Rechner beim Militär. Wie wäre es mit dem Satz: Waffenstillstand, weil der Frieden zu kostbar ist, um ihn den Soldaten zu überlassen…
Heute hörte ich den Satz: Ein Waffenstillstand in Gaza ist nah, weil der Preis für den Krieg zu hoch geworden ist. Wie bedauerlich! Entweder hat der Sprecher dieses Satzes nur die wirkliche Situation beschreiben wollen oder er denk wie die zynischen Kosten-Nutzen-Rechner beim Militär. Wie wäre es mit dem Satz: Waffenstillstand, weil der Frieden zu kostbar ist, um ihn den Soldaten zu überlassen…
Am Ende entscheiden eh
nicht die Generäle über die Ergebnisse von Kriegen – Verhandlungen lösen
letztlich die Konflikte (mehr oder weniger) durch (mehr oder weniger faire)
Kompromisse auf; warum nur braucht man Generäle dann eigentlich… und für was
eigentlich braucht man Politiker wie den korrupten Premierminister Israels Ehud
Olmert, der auf keinen Fall seine Unterschrift direkt neben die Paraphe eines Abgesandten
der Hamas setzen will…oder palästinensische Führer in ihren Bunkern, die den
Menschen in Gaza immer weniger erklären können, warum sie dieses Inferno noch
länger ertragen sollen, wenn sie am Ende für all das Leid doch kaum etwas
bekommen?
Wann und wie auch immer
die israelischen Angriffe auf den Gazastreifen enden: Es wird nur eine
Ruhepause vor neuen Katastrophen sein. Nach diesem Krieg werden vor allem die
Überlebenden in Gaza ärmer, verzweifelter und hoffnungsloser sein. Sie behalten
zerstörte Infrastruktur, zerbombte Schulen und überfüllte Friedhöfe, weil
Israel ihnen nicht mehr zubilligen will. Die Israelis behalten den gegen sie
gerichteten Terror und züchten womöglich gleich die nächste Generation von
Habenichtsen, denen es gleichgültig ist ob sie leben oder tot sind und deswegen
auch nichts dabei finden, sich in die Luft zu sprengen.
Israel tönt, man habe
seine große militärische Überlegenheit und damit
"Abschreckungsfähigkeit" unter Beweis gestellt… was keinen dieser
Habenichts wirklich beeindrucken wird. Jemand sollte ihnen schnellstens sagen,
dass sie die Hamas gar nicht vernichten DÜRFEN, weil es sonst in Gaza überhaupt
keine Ordnungsmacht mehr gibt, und dass sie nach der IV. Genfer Konvention die
Verantwortung für 1,5 Mio. Menschen nicht abgeben können.
Schließlich können wir
annehmen, dass die Europäer – zusätzlich zum Verlust ihrer Glaubwürdigkeit –
ein paar Milliarden Euro verloren haben… ebenso viele Milliarden wie sie in den
Aufbau der palästinensischen Infrastruktur gesteckt haben, die nun von den
Bomben, die vielleicht auch sie lieferten, zunichte gemacht wurden. Zusätzlich
wird die Weltgemeinschaft als Verlierer feststehen, weil die Palästinenser
weiterhin am Tropf der Welt hängen bleibt – die eh kümmerlichen Pflänzchen
einer einheimischen Wirtschaft, sind, in der Hitze der Gefechte, wieder
verdorrt.
Seitdem im Gazastreifen
die Hamas an der Macht ist, herrscht ständiger Druck auf der Bevölkerung. Der
Exporthandel kam fast zum Stillstand und der Import beschränkt sich seitdem auf
Lebensmittel, Medikamente oder humanitäre Güter. Rund 90 Prozent der Betriebe
schlossen und es herrscht Massenarbeitslosigkeit Israel wird die Blockade als
erfolgreich bezeichnen, sie aber dennoch aufheben müssen, weil die israelischen
Wirtschaft die Arbeitskräfte aus Palästina dringend braucht; auch hier gibt es
schon jede Menge Verlierer.
Feindschaften werden immer nur tiefer - nur Freundschaften wachsen in die Höhe
W.John
Was hat der Krieg noch
gebracht? Israels Waffengang hat die arabische Welt noch tiefer gespalten, und
Israels Feinde in der Region werden entschlossener aufrüsten als bisher schon.
Vielleicht erleben wir bald ein Ende dieses Krieges, ein Frieden aber sieht
anders aus. Mit den Leichen dieses Krieges, hat man auch (fast) sämtliche Anstrengungen der bisherigen Versuche beerdigt, die man (etwas optimistisch) Friedensprozess
nannte. Trotzdem werden sich mal wieder beide Seiten als Sieger der Kämpfe erklärten;
obwohl sie beide wissen, dass das nicht stimmt. „Das Leben im Gazastreifen
gleicht dem kurzen und hektischen Luftschnappen eines Menschen, dem der Kopf
unter Wasser gehalten wird“, sagt der stellvertretende Direktor des
Shefa-Krankenhaus in Gaza, Dr. Ashour, „Immer wieder Luftschnappen. Das ist
unsere Lage.“
Gelder, die Gaza
zustanden, wurden einbehalten, die Übergänge blockiert, jeglicher Handel aus
dem Gaza-Streifen verhindert, der Meereszugang gesperrt. Kein Wunder, wenn Gaza
ein Hungerland und Armengetto war, lange bevor die israelische Militärmacht am 27.
Dezember 2008 zuschlug und dem winzigen, belagerten Landstrich noch mehr Hunger
und Verwüstung zufügte. Die Situation im Gazastreifen ähnelt indes mehr denn je
einem Tollhaus. Der Gazastreifen steckt in einer der schlimmsten Krisen seiner Geschichte.
Das 40 Kilometer lange und sechs bis vierzehn Kilometer breite Küstenstück am
östlichen Ende des Mittelmeeres ist vom Rest der Welt wirtschaftlich und
politisch abgeschnitten.
Nachdem Hamas Anhänger
im letzten Jahr Teile der südlichen Grenze bei Rafah gesprengt hatten, drängten
zigtausende der knapp eineinhalb Millionen Palästinenser nach Ägypten um dort
Lebensmittel und Bedarfsgüter zu kaufen – die waren aufgrund des israelischen
Embargos und des Boykotts der Hamas-Regierung ausgegangen. Heute wird darüber
„verhandelt“, dass das nicht mehr möglich sein soll – auch Deutsche
Spezialisten sollen es verhindern; hoffentlich werden die nicht auch Verlierer.
Deswegen auch gibt ein Waffenstillstand über die so erwünschte Beendigung des
Krieges hinaus nur Sinn, wenn er von Israels Verpflichtung begleitet wird, die
Lebensfähigkeit Gazas und der Westbank nicht weiter zu behindern und den
Siedlungsbau zu stoppen.
Das wäre auch die
Mindestvoraussetzung dafür, dass europäische, einschließlich deutscher,
Truppen, wie hier und da erwogen, zur Sicherung der Grenze Gazas mit Ägypten
entsandt würden. Als Hilfs-Sherifs für die Aufrechterhaltung einer israelischen
Blockade haben sie dort nichts zu suchen. Jetzt, nach der militärischen
Eskalation, könnte eine neue Flüchtlingskrise drohen, vielleicht sogar eine
neue Intifada. Die regionalen Auswirkungen sind bislang unabsehbar und ich
bezweifele, dass an den Verhandlungs-Tischen wirklich ein Überblick darüber
vorhanden ist, was geschehen könnte.
Auch Ägypten ist
unmittelbar betroffen, schließlich dreht es sich um seine Nordgrenze im Sinai.
Die Angst vor einem islamischen Aufstand in Ägypten ist groß, besonders vor dem
Hintergrund, dass ein solcher aus Gaza herüberschwappen könnte. So versucht
Ägypten immer wieder Verhandlungen anzuschieben, aber die politisch
Verantwortlichen in Israel wollen nicht mir jedem verhandeln. Yoav Peled,
Professor für Politikwissenschaft an der Universität von Tel Aviv, urteilt
darüber: „Israel ist bereit mit jedem zu verhandeln, der nichts mehr zu sagen
hat. In der Realität gibt es momentan gar keine Verhandlungen. Und schon gar
keinen von den USA geleiteten Friedensprozess.“
Israel hat es immer
wieder versäumt, militärische Erfolge in politische umzuwandeln. Keine seiner
Regierungen war nach militärischen Siegen zu substanziellem politischem
Entgegenkommen gegenüber den Palästinensern bereit. Auch während der
Verhandlungen über eine Zwei-Staaten-Lösung – von Oslo bis Annapolis - ließen
sie kräftig weiter israelische Siedlungen auf Palästinenser-Gebieten zu. Sie
schwächten damit nicht nur die Glaubwürdigkeit ihrer Friedensbereitschaft, sie
untergruben auch das Ansehen ihrer Verhandlungspartner. Auf die folgende
Radikalisierung der Palästinenser hatte die israelische Führung dann immer nur
ein Argument: Mit Terroristen verhandelt man nicht.
Und immer nur eine, die
militärische Antwort. Anstatt jene Kräfte zu stärken, die für einen Ausgleich
mit Israel eintreten, stärkte sie fortwährend diejenigen, die dagegen agierten
– unter tätiger Mithilfe derjenigen, die Israel unkritisch die Stange hielten z.B.
Merkel). Verheerend sind die Auswirkungen der israelischen Militäroperation "Gegossenes Blei" für den gesamten Nahen Osten. Die Herrscher in Jordanien,
Ägypten und den Emiraten am Golf werden wegen dieses Krieges nicht stürzen. Aber
der Zorn unter der Bevölkerung der arabischen Staaten wächst - nicht nur auf
Israel, sondern auch auf die Regierungen ihrer eigenen Länder und auch auf die
der westlichen Staaten, weil sie passiv bleiben.
Der Iran stößt in
dieses Vakuum vor; die Führung in Teheran schwingt sich mit martialischen Reden
zum Verteidiger der Rechte des palästinensischen Volkes auf. Sie geben vor,
dass sie den Palästinensern helfen wollten und gewinnen unter den Arabern damit
Sympathien, obwohl sie ganz andere Interessen verfolgen. Israel und der Westen
wollen den Iran isolieren. Mit solchen Militärschlägen und deren Tolerierung
erreichen sie genau das Gegenteil.
Alle wissen, dass es
keine militärische Lösung gibt. Alle beschwören, dass sie nur den Frieden
wollen. Aber alle machen weiter wie bisher. Die Hamas ist keine Organisation,
mit der man verhandeln oder gern reden möchte. Aber sie verschwindet nicht,
wenn man sie boykottiert. Und damit nebenbei rund 1,5 Millionen Palästinenser
aushungert; Hamas-Anhänger, Fatah-Sympathisanten und Unparteiische. Wer nur noch
überlegen kann, wie er die nächste Mahlzeit auf den Tisch bringt oder ob die
Kinder unbeschadet nach Hause kommen, der denkt nicht über politische
Alternativen nach.
Der fällt aber auch
keinem Kassam-Raketen-Schützen in den Arm. Wer aber etwas zu verlieren hätte,
sei es ein ordentliches Haus, ein geregeltes Einkommen, eine Urlaubsreise nach
Zypern - der überlegte sich sehr wohl, ob er das von bombenbastelnden und
bombenwerfenden Fanatikern aufs Spiel setzen ließe.
Schließlich und endlich sind viele Gesellschaften der westlichen Welt im übertragenen Sinne ebenfalls Verlierer; und damit meine ich nicht die paar Milliarden Steuergeld. Seit Jahren wird der sog. Kampf gegen den Terror auch dazu benutzt, die Bürgerlichen Freiheitsrechte mehr und mehr auszuhöhlen und in manchen Bereichen existieren sie faktisch nur noch auf dem Papier, aber nicht mehr in der gesellschaftlichen Wirklichkeit; z.B. das Post- oder das Fernmeldegeheimnis, die Unverletzlichkeit der Wohnung oder die informelle Selbstbestimmung.
Nun, auch durch diesen
Krieg wird die Welt nicht sicherer vor terroristischer Bedrohung – was
denjenigen Wasser auf die Mühlen ist, die am liebsten auch unsere Darmtätigkeit
überwachen wollen. Ein Weg aus der Sackgasse ist nicht in Sicht. Auch der neue
Präsident der USA Barack Obama wird wenig ausrichten können und, wenn man auf
die Äußerung seiner designierten Außenministerin Hillary Clinton schaut, steht
in Frage, ob er etwas ausrichten will. Und selbst wenn Obama es wollte, solange
Israel sich nicht zu einem wirklichen Friedensprozess, einschließlich der damit
verbundenen Risiken, durchgerungen hat, wird weder gutes Zureden noch
politischer Druck der USA viel bewirken.
Das gilt erst recht für
die geschäftigen Bemühungen mancher europäischen Regierung. Wenn diese
tatsächlich etwas aus der jüngsten Krise lernen wollen, dann dies: den Dialog
auch mit der Hamas nicht länger zu scheuen. Und für die nächste israelische
Militäraktion nicht wieder automatisch Rechtfertigungen zu finden.
Wilfried John
Anmerkung: Teil IV. folgt – Frieden lernen
Wilfried John
Anmerkung: Teil IV. folgt – Frieden lernen
Kommentare
Kommentar veröffentlichen