Frieden lernen in Gaza – Zum Internationalen Jahr der Aussöhnung Teil 2 "Wie alles begann"


Frieden lernen in Gaza – Zum Internationalen Jahr der Aussöhnung

Teil II. Wie alles begann

Gebeugt erst, zeigt der Bogen seine Kraft.
Franz Grillparzer




Dieses Kapitel könnte ich mit der Feststellung einleiten: Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Wir Menschen, als Teil der Natur, können uns nicht aus den – über Jahrmillionen erprobten – Prinzipien der Evolution davonstehlen. Ja, es gab immer „fressen und gefressen werden“, aber wirklicher Fortschritt entstand immer da, wo Symbiose und Kooperation dafür sorgten, dass Entwicklung ohne das archaische Gesetz des Stärkeren den Lauf der Dinge bestimmen. Seit Jahrtausenden ist klar, dass Gewalt immer Gewalt gebiert; nichts anderes. Nur die Profiteure der Gewalt, konnten den Satz von Heraklid "Der Krieg ist der Vater aller Dinge" vollständig aus dem Zusammenhang reißen, umdeuten und so umformulieren, dass er ihren Interessen entspricht.

Seit Jahrtausenden ist feststellbar, dass imperiales Machtstreben, Unterdrückung und Profitgier die wirklichen Ursachen von Gewalt sind. Das mutwillige Verschieben von Grenzziehungen, die Ausbeutung von unterjochten Völkern und die Beherrschung z.B. von Handelswegen, führte immer zu Gegenbewegungen. Jede Annektierung von Land, außerhalb des angestammten Lebensbereichs, mit dem Mittel des Krieges, führte zu neuem Krieg. Jede Unterdrückung führte zur Rebellion. Jede gewaltsame Bereicherung zu Lasten anderer, führte immer zu Begehrlichkeiten Dritter und wieder zu Gewalt.

Dabei spielt es keine Rolle, ob wir auf das pharaonische, römische oder britische Imperium schauen. Es tut nichts zur Sache, ob Spanier und Portugiesen Lateinamerika ausbeuteten, Japaner und Deutsche in China Menschen unterdrückten oder Franzosen und Briten Afrika ausbeuteten. Es ist bedeutungslos, ob Perser, Phönizier, Araber oder mittelalterliche Europäer die Seiden- oder Weihrauchstraße beherrschten oder Portugiesen den Seeweg nach Indien, US-Amerikaner den Panama-Kanal oder Briten den Suez-Kanal. Immer erzeugte es Krieg und Gewalt.

Ich möchte niemands religiöse Gefühle verletzen, doch ich muss das Folgende einfach sagen: In diesem Zusammenhang waren die Religionen, wie sie sich auch immer nennen, nie etwas anderes als billiges Blendwerk, mit dem man sich Dumme fing, die einem das schmutzige Geschäft des Krieges betrieben. Millionen und Abermillionen von Menschen wurden vordergründig im Namen von Religionen geschlachtet… ob auf Kreuzzügen, dem 30jährigen Krieg, der Conquista, der Reconquista oder in Nord-Irland – nie ging es um Glauben, immer ging es um Macht, Ausbeutung und Profit.

Relikt aus der Frühgeschichte

Ausnahmsweise nehme ich es einmal nicht so genau und erspare es mir und Ihnen, eine Exegese des alten Testamens der Bibel aufzuschreiben; erstens steht sie bei mir nicht im Rang eines Dokuments und zweitens geht es nicht um Glauben, sondern um Geschichtsschreibung (wobei man bei manchen Historikern vermuten darf, dass sie das eine vom anderen nicht unterscheiden können – nicht nur was diesen Fall angeht). Nichts desto trotz muss man weit in die Geschichte zurückgehen, um Geschehnisse in der näheren Vergangenheit zu verstehen: Auf einer Stele des ägyptischen Pharaos Merenptah wird der Name Israel erstmals im 13. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung erwähnt. Es handelte sich dabei wohl um so etwas wie ein staatliches Gebilde, das im westlichen Bereich der Gegend bestand, die heute die Ebene von Kanaan genannt wird.

Gleichzeitig bestand daneben noch ein anderes Staatsgebilde mit der Bezeichnung Juda, dessen Lage um Jerusalem verortet wird. Assyrer zerstörten beide Staatsgebilde. Juda allerdings wurde, es liest sich wie eine Ironie der Geschichte, von den Persern wiedererrichtet; wobei dieser Staat nie wirklich selbständig war, sondern unter der Oberhoheit der Perser verblieb. Nach einer Phase der relativen Selbständigkeit Judas unter den Makkabäern, zerstörten die Römer diesen Staat erneut. Bereits in der Perserzeit bildete sich ein nicht-jüdischer Volksteil, die Samaritaner, heraus, der die staatliche Tradition des alten Israel aufnahm; in der Gegend des heutigen Nablus. Ein starker Exodus der Juden aus dem sog. Nahen Osten erfolgte im Anschluss an die erfolglosen Aufstände gegen die Römer mit starker Bevölkerungsumschichtung unter den Römern, Byzantinern, Arabern und Ottomanen.

Spätestens nun begann das, was man später „Jüdische Existenz in der Diaspora“ nennen wird. In den folgenden Jahrhunderten war diese Existenz allgemein geprägt von einem Leben in fremden Kulturkreisen – was an sich schon schwer genug ist. Die Juden waren darüber hinaus während der gesamten Zeit regelmäßig von Verfolgung und Unterdrückung bedroht. Besonders in der christianisierten Gesellschaft bildete sich die Judenfeindlichkeit heraus, die zu Zwangstaufen, Pogromen und Massenmorden führte. Schließlich bestand für die Juden der Zwang sich zu assimilieren und sich in die jeweiligen Gesellschaften einzugliedern; was vielen auch gelang (besonders gründlich in Deutschland.

Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Antisemitismus Europa von interessierter Seite wieder geschürt. Bei innen- oder außenpolitischen Schwierigkeiten macht sich ein Sündenbock, an dem sich – ohne Gefahr für die eigentlich verantwortlichen Machthaber – der Volks-Zorn entladen kann, immer gut. Damals gab es in Russland sogar wieder Pogrome gegen Juden. Diese Zustände belebten bei einer wachsenden Zahl – auch von an sich assimilierten – Juden in Europa, den Wunsch nach einem eigenen sicheren Staat. Ein gewisser Theodor Herzl veröffentlichte 1896 in seinem Buch "Der Judenstaat“ die Idee des sog. Zionismus, was schließlich zu einer jüdischen Bewegung führte, die nach einem eigenen Staat für das jüdische Volk strebte.

Die Idee fand zu dieser Zeit auch einflussreiche nichtjüdische Unterstützer. Das Ziel war eine politische Lösung mit offizieller Anerkennung der Völkergemeinschaft. Es gab sogar einflussreiche arabische liberale Kreise, die der jüdischen Einwanderung positiv gegenüberstanden und die Zionisten betrieben eine Politik der friedlichen Koexistenz und Einigung mit den Arabern. Infolge dessen unterzeichneten 1919 Chaim Weizmann, als Vertreter der Zionistische Weltorganisation, und Faisal, König von Syrien, ein Abkommen, in dem dieser die jüdischen Interessen in Palästina anerkannte.

In der Balfour-Deklaration von 1917 allerdings, hatte der britische Außenminister Arthur J. Balfour schon der zionistischen Bewegung die Unterstützung Großbritanniens für die Einrichtung einer "nationalen Heimstätte" des jüdischen Volkes in Palästina versprochen. Gleichzeitig heißt es in der Deklaration, die Rechte der ansässigen arabischen Bevölkerung müssten gewahrt werden. Seit dem Faisal-Weizmann-Abkommen während der Pariser Friedenskonferenz von 1919 kämpften die arabischen Kreise jedoch gegen die Stärkung der jüdischen Einwanderung nach Palästina und die jüdischen Kreise fühlen sich an die Vereinbarung der muslimischen Kontrolle über die heiligen Stätten des Islam im Sinne der Balfour-Erklärung immer noch gebunden. Damit barg die Balfour-Deklaration bereits das ganze Konfliktpotenzial.

Relikt aus der Kolonialzeit

Den imperialistischen Interessen Großbritannien in Nord-Afrika und der Arabischen Halbinsel, stand das Osmanische Reich im Wege. Dazu brauchten sie Verbündete; idealer Weise die Araber. In einer Korrespondenz zwischen Hussein ibn Ali und dem britischen Hochkommissar in Ägypten, Henry McMahon, wurde bereits 1915/1916 den Arabern die Selbstständigkeit versprochen, wenn sie Großbritannien im Kampf gegen die Osmanen unterstützen. Die Geschichte ist sehr bekannt… In der offiziellen Geschichtsschreibung heißt es, dass Großbritannien, nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches, vom Völkerbund das Mandat erhielt, Palästina treuhänderisch zu verwalten.

Betrachtet man allerdings die tatsächlichen Machtkonstellationen im Völkerbund, dann hat sich GB das Mandat sozusagen selbst erteilt (es war etwa so wie heute mit den USA und den Vereinten Nationen – braucht man unbedingt ein Mandat, ganz gleich für was und mit welchen Begründungen, dann bekommt man es auch). Nun, was schert sich eine Großmacht schon um die Interessen kleinerer Mächte oder sogar machtloser Völker betrifft? Man verfährt einfach nach seinen Interessen… der Zeitenlauf ändert eh alles oder man ändert eben den Zeitenlauf. Und auf ein Versprechen mehr oder weniger kommt es auch nicht an! 1918 versprach die britische Regierung, die Unabhängigkeit Palästinas zu fördern und hier einen Satellitenstaat wie im damaligen Ägypten herzustellen.

Auch vor der zionistischen Bewegung gab es schon jüdische Siedlungen in Palästina, aber die aufgrund der britischen Versprechen regelrecht einsetzende Einwanderung, brachte nun erste Konflikte mit den ansässigen Palästinensern. Die sog. Mandatszeit der Briten war geprägt durch eine Erstarkung militanter palästinensischer nationalistischer Gruppen; was ebenfalls mit dem oben erwähnten britischen Versprechen zusammenfällt. Konflikte rührten etwa daher, dass arabische Großgrundbesitzer ihr Land an Juden verkauften, es aber diesen überließen, die dort ansässige arabische Bevölkerung zu vertreiben, die sich so von den Juden "verjagt" fühlten; die Briten unterbanden nicht nur nicht diese Praktiken, sie sahen sie mit Wohlwollen. Das war stets das Prinzip in ihren Kolonien – Zwietracht vor Ort vermeidet, sich die „eigenen Hände dreckig machen zu müssen“.

Die alten herrschenden feudalen Kreise und die rechtskonservative Klasse der Großgrundbesitzer sahen einerseits ihre Bedeutung in der Region schwinden, andererseits aber sollte gesellschaftlich alles beim Alten bleiben. So schürte man eine antijüdische Stimmung unter der arabischen Bevölkerung. Die Aufwiegelung der arbeitslosen unterentwickelten Massen nahm zu… und die Juden hatten ja selbst durch die Landvertreibung ihr Teil dazu beigetragen und trugen auch weiter dazu bei. Die Entwicklungen in der Landwirtschaft, dem Städtebau und der Infrastruktur macht – finanziell aus dem Ausland unterstützt – große Fortschritte und in den schnell entstandenen jüdischen Unternehmen wurden zum größten Teil nur Juden ein, wodurch sich die arabische Bevölkerung benachteiligt sah, da sie an dem neuen Wohlstand nicht teilhaben durfte.

Wohlgemerkt: Noch immer gab es keinen Israelischen Staat. Alles geschah unter den Augen und der Duldung der Briten; denen das machtpolitisch nur recht sein konnte. Auf die Landvertreibung durch die Juden, folgten Übergriffe von arabischer Seite. In den Geschichtsbüchern werden diese Übergriffe von 1921 und 1929 leider Pogrome genannt; das verschleiert die Tatsachen und lässt kaum eine andere Wahl als die Parteinahme für die (armen, schon wieder verfolgten) Juden. In den Jahren 1936 bis 1939 kam es zum sog. Großen Arabischen Aufstand (der eigentlich zunächst keiner war und sich eigentlich nicht gegen Juden richtete, der dann aber gerne dazu gemacht wurde). Der sog. Arabische Aufstand im britischen Palästinamandat, war zu Beginn nämlich nichts weiter als ein Generalstreik gegen die Briten.

Die Mandatsmacht kam ihren Verpflichtungen (der Erfüllung der o.g. Balfour-Deklaration gegenüber der Vorbereitung der Araber auf die Unabhängigkeit) nicht nach und nahm eine pro-zionistische Haltung ein. Sie ließen es sehenden Auges geschehen, dass sich die Juden nach der Besetzung Palästinas durch die Alliierten organisierten – so übernahm z.B. eine "Versammlung der Gewählten" die Aufgaben des Parlaments und sogleich die Strukturierung der Infrastruktur etc. Die Araber lehnten eine ähnliche Selbst-Organisation ab: Sie warteten auf die Erfüllung der Versprechen Großbritanniens; auf autonome Institutionen für den versprochenen unabhängigen Staat der Araber.

Wieder wird in der offiziellen Geschichtsschreibung gelogen. Dort ist zu lesen, dass in Reaktion auf den Aufstand, jüdische Einwanderer die paramilitärische Schutzorganisation Haganah gründeten; oft ist sogar zu lesen, dass auch die Gruppen Irgun und die Stern-Gruppe so entstanden wären. Es gibt aber Protokolle der britischen Palästine Police die besagen, dass es längst sogar illegale Waffenlager dieser Gruppen gab und man sie als Terrororganisationen angesehen würde. Die Terrorgruppe Irgun war es wohl auch, die den Funken lieferte, der aus dem Streik einen Aufstand machte; der erste bekannte Anschlag der Irgun geschah am 20. April 1936, bei dem zwei arabische Arbeiter einer Bananenplantage getötet wurden.

Einen nicht unbeträchtlichen „Beitrag“ zur Eskalation in Palästina, ergab sich ab 1933 aus der Judenverfolgung in Deutschland; die Emigration nach USA ist weithin bekannt, die nach Palästina weitgehend unbekannt. Das verschärfte sich noch nach 1939 mit dem von den Nazis begonnenen 2. Weltkrieg und dem beginnenden Völkermord, als viele Juden aus Deutschland fliehen mussten, während viele europäische Staaten (auch die Schweiz) sich weigerten, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen; nun gingen wirklich viele jüdische Flüchtlinge nach Palästina, dem von jeher in ihrer Tradition Gelobten Land – auch weil die Juden die illegale Einwanderung von Juden nach Palästina regelrecht organisierten. Diese Ereignisse gaben dem Gedanken des Zionismus einen entscheidenden Anstoß. Als dann auch nach Kriegsende die Einwanderung nicht freigegeben wurde, richtete sich der bewaffnete Kampf der jüdischen Organisationen auch gegen die britische Mandatsmacht, was mit dazu beitrug, dass die Briten das Palästinaproblem 1947 an die Vereinten Nationen übergaben.

Nach dem Ende des 2. Weltkriegs, hatte sich die geopolitische Machtverteilung gründlich geändert; während zu Völkerbundzeiten GB bestimmend war, agierte nun die USA in gleicher Weise bei den Vereinten Nationen. In den Geschichtsbüchern steht zu lesen, dass die Briten nach dem Zweiten Weltkrieg ankündigten, ihr Mandat über Palästina aufgeben zu wollen… in Wirklichkeit wurden sie dazu von den USA gezwungen (worauf ich später noch näher eingehe). Kurz nach Gründung der Vereinten Nationen, der Nachfolgeorganisation des Völkerbundes, wurde am 29. November 1947 ein Teilungsplan für Palästina beschlossen (Resolution 181). Es sollte ein jüdischer und ein arabischer Staat gegründet werden sollten.

Quasi direkt nach den UN-Beschluss begannen zwischen jüdischen und arabischen Milizen im Dezember 1947 ersten Kampfhandlungen, die sich später zum Palästinakrieg ausweiteten. Nach der Unabhängigkeitserklärung des Staates Israels am 14. Mai 1948 wurde dieser auch von den regulären Armeeeinheiten einer Allianz der arabischen „Nachbar-Staaten“, die den UN-Teilungsplan für Palästina ebenfalls nicht akzeptierten, am 15. Mai kurz nach 0 Uhr angegriffen; weshalb die Israelis diesen Krieg auch am liebsten Unabhängigkeitskrieg nennen. Wieder hatte Gewalt nichts anderes als Gewalt erzeugt… und sie sollte weiter und weiter Gewalt erzeugen.

Der britische Kolonialismus im Nahen Osten

Wie ich in der Einleitung zu diesem Teil versucht habe zu zeigen, gibt es im Grunde eigentlich nur wirtschaftliche Interessen für imperiales Machtstreben, Unterdrückung und Profitgier. Als koloniale Seemacht mit großem wirtschaftlichem Engagement vor allem in Indien und Fernost, galt Großbritanniens Interesse sicheren und wirtschaftlich günstigen Seewegen. Nach der Eröffnung des Suez-Kanals am 17. November 1869, versuchte GB alles, um Einfluss in diesem Gebiet zu erhalten; erstens weil er den ganzen Weg um Afrika herum ersparte, zweitens weil das strategisch die Konkurrenz behindert und drittens weil man damit auch noch Geld verdienen kann. Der Kanal wurde von der französischen Suezkanal-Gesellschaft „Compagnie Universelle du Canal de Suez“ und Ägypten als Aktiengesellschaft betrieben, war anfangs jedoch hochgradig unrentabel und so stand Ägypten bald kurz vor dem Bankrott.

Die Briten sprangen den Ägyptern bei und 1875 übernahm die Regierung von Großbritannien den Aktienanteil Ägyptens und erhielt damit entscheidenden Einfluss auf den Kanal. So einfach sollte es allerdings nicht gehen und in der Bevölkerung regte sich Widerstand gegen den Einfluss der Briten, der letztlich (absichtlich gefördert oder absichtlich nicht im Keim verhindert) zu Aufständen führte; deren Niederschlagung (1882) die Besetzung Ägyptens durch Großbritannien zur Folge hatte. So war der Kanal quasi ihnen. Das sieht natürlich in der Öffentlichkeit nicht nach der feinen britischen Art aus… Also bestellte man am 29. Oktober 1888 zu einer Konferenz im heutigen Istanbul, anlässlich der man sich die Konvention von Konstantinopel beschließen ließ. Hierin wurde der Sueskanal zu einer neutralen Zone erklärt und die freie Durchfahrt für Handels- und Kriegsschiffe proklamiert. Sie sollte in Friedens- und Kriegszeiten gelten. Die Schutzherrschaft wurde, nun ganz offiziell und dem Status nach internationalem Recht, Großbritannien übertragen. Alles blieb zwar wie vorher, aber die Briten waren jetzt wieder die Guten.

Auch wenn man es vielleicht nicht mehr hören oder lesen mag, auch damals schon ging es um das Erdöl. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts begann man, Erdöl kommerziell zu nutzen und dadurch begann auch dessen kommerzielle Förderung. Zunächst galt es als Ersatz für den traditionellen Lampenbrennstoff: das Walöl. Das allerdings war nur in begrenzten Mengen verfügbar und die Transportwege wurden immer länger und damit teurer. Der kanadische Arzt und Geologe Abraham Gessner erwarb 1852 ein Patent auf die Herstellung eines relativ sauber brennenden, preisgünstigen Lampenbrennstoffes aus Rohöl: Es wurde Petroleum genannt.

Der Brite Marcus Samuel, Gründer der Ölfirma Shell, war im Kolonialhandel aktiv, als er 1897 in Borneo Öl fand. Aufgrund der weiten Entfernungen war man zu Erfindungsreichtum gezwungen; aus dieser Zeit datiert die Entwicklung moderner Öltanks sowie großer Seetankerschiffe. Der Suez-Kanal war plötzlich noch wichtiger… schließlich ist die Geschichte des Aufstiegs moderner industrieller Nationalstaaten ohne das Öl nicht denkbar. 1901 erhandelte der Brite D'Arcy vom persischen Schah eine Ölförderkonzession für 60 Jahre und fand 1908 Öl. Da sein Konsortium fast pleite war, sprang die britische Admiralität ein und übernahm die Anglo-Persian Oil zu 51 Prozent in staatlichen Besitz, aus der später die British Petroleum wurde. Damit hatte die britische Kolonialmacht neben dem unsicheren Kantonisten Shell eine staatlich kontrollierte und für nationale Interessen einsetzbare Ölgesellschaft. Öl war für die Industrienationen zu wichtig geworden, um einfach der kapitalistischen Privatwirtschaft überlassen zu werden.

Deutsche Bank und Shell gründeten zusammen mit der osmanischen Turkish National Bank und dem armenischen Millionär Calouste Gulbenkian 1912 die Turkish Petroleum Company (TPC), die sich vor dem 1. Weltkrieg Ölförderkonzessionen in Mesopotamien gesichert hatte. Nach dem ersten Weltkrieg und der Niederlage des Osmanischen Reiches wurden die Deutschen ausgebootet, die französische Ölgesellschaft stieg ein; GB und Frankreich bestätigten sich das im Abkommen von San Remo 1920, aber der neue türkische Nationalstaat Atatürks machte dem von beiden Kolonialmächten festgelegten Irak Gebiete streitig und sprach der TPC die legale Grundlage ab. Den Kolonialmächten wurde die beständige Gefahr der Nationalisierung bewusst und sie wandelten die TPC um in die Iraq Petroleum Company.

Doch nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in den Förderländern einen allgemeinen Trend zur Verstaatlichung. Die Ölgesellschaften wollten zwar eigenständige Konzerne bleiben, aber die Verstaatlichungen bedrohten ihre Profite und so warfen sie sich immer wieder in die Arme ihrer Entstehungs- oder Herkunftsstaaten, weil nur Staaten in der Lage waren, Kriege zu führen und ihnen den Zugang zu den Ölquellen wieder zu eröffnen. Es waren die Ölgesellschaften der alten Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich, gegen die sich die neuen Nationalstaaten im Nahen Osten zunächst richteten. Der iranische Ölminister Mossadeq verstaatlichte 1951-53 die iranische Ölindustrie und warf die BP aus dem Lande. Als Schah-treue Generäle Mossadeq mit Hilfe des CIA wieder absetzen konnten, bedeutete das gleichzeitig den Zugang von US- Ölfirmen in den Iran (siehe hierzu auch den Artikel „Die Ökonomie des Krieges – Oder warum Kriege nicht enden… Teil 2 – Der dritte Weltkrieg…“). Großbritannien zog sich als Militärmacht erst 1970 ganz aus dem Nahen Osten zurück. Die US-Ölgesellschaften hatten zunächst einen guten Ruf als Alternative, weil die USA die antikolonialen nationalistischen Bewegungen zunächst noch unterstützt hatten und im Nahen Osten selbst als ursprünglich antikoloniale Macht empfunden wurden.

Arabischer Nationalismus

Den Kolonialmächten war die beständige Gefahr der Nationalisierung sehr bewusst. Deswegen versuchten sie in den von ihnen verwalteten Territorien wenigstens den Anschein zu erwecken, dass die Menschen eine „eigene“ Führung hätten. Wie die Kolonialmächte damals mit den von ihnen verwalteten Territorien umgingen, verdeutlicht das Schicksal des Königs Feisal: er wurde von den Briten zuerst auf den syrischen Thron verfrachtet. Da Syrien jedoch Frankreich zufiel, setzten ihn die Briten wieder ab, und weil sie nun einen Monarchen für den Irak brauchten, setzten sie ihn kurz darauf als König von Irak ein. Dass solche Marionettenregime, von denen wir nach dem Irak-Krieg wieder eines erleben, keinen Bestand hatten, lässt sich denken. Sie wurden in allen arabischen Ländern bald von nationalistisch-militaristischen Regimen hinweggefegt, die zugleich anti-britisch wie später auch durchweg anti-israelisch waren.

Rudolf Rocker schrieb in seinem Aufsatz „Der Nationalismus – eine Gefahrenquelle!“ schon 1952: "Der ganze arabische Nationalismus war von Anfang an ein künstliches Gebilde, dessen Entstehung viel mehr der auswärtigen Politik rivalisierender europäischer Großmächte zu verdanken ist als den eigentlichen Bestrebungen der zahlreichen arabischen Völkerschaften. Den Beduinenstämmen, die in manchen arabischen Staaten einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung bilden, war der Begriff des Nationalismus schon deshalb fremd, weil sie als Nomaden überhaupt keine festen Wohnstätten besitzen. (...) Man darf überhaupt nie vergessen, dass der gesamte arabische Nationalismus seine ganze Existenz nur einer kleinen intellektuellen Schicht zu verdanken hatte und von den kleinen arabischen Machthabern unterstützt wurde, weil sie glaubten, ihre dynastischen Interessen damit fördern zu können, wobei die größeren von ihnen stets von dem Wunsch besessen waren, die neue Idee von der 'Arabischen Bruderschaft' früher oder später dazu benutzen zu können, um die Hegemonie über die arabische Welt zu erringen. Die Völker spielten dabei überhaupt keine Rolle."

Spätestens jetzt schließt sich der Kreis zum Anfang dieses zweiten Teils. Die Kolonialmächte, und im Falle Palästina besonders GB, hatten also nie wirklich ein Interesse am Zustandekommen von Nationalstaaten. Zudem mussten die Briten das Gebiet wofür sie wirklich Interesse hatten (Suez und Erdöl) nach Norden hin gegen die Türken (und deren Verbündeten – Das Deutsche Reich) schützen; die Türken hatten wegen der schmählichen Niederlage des Osmanischen Reiches noch eine Rechnung offen, Deutschland war Konkurrent auf dem Weltmarkt und rüstete aggressiv. Dazu war das Mandatsgebiet im Zustand eines instabilen Palästina grade gut genug.

Neue Kolonien… neuer Kolonialismus

Die USA wollten als Hauptgewinner des Zweiten Weltkriegs die Britischen Erölquellen im Nahen Osten beerben. Der britische Verhandlungsführer Lord Halifax telegrafiert 1944 aus Washington nach London, dass „’die Amerikaner schockierend mit uns umspringen’. ... Roosevelt empfing ihn noch am selben Abend im Weißen Haus. Ihr Gespräch konzentrierte sich auf den Nahen Osten. Um zu einem Kompromiss zu kommen, zeigte Roosevelt ihm eine grobe Skizze, die er von der Region gemacht hatte. ‚Das persische Öl ... gehört Ihnen. Das Öl im Irak und in Kuwait teilen wird uns. Und was das saudische Öl betrifft, das gehört uns.’“ (zitiert nach Daniel Yergin).

Die weltweite „Schutzmachtkontrolle“ ging nach und nach von Großbritannien auf die Vereinigten Staaten über...und die Machtverhältnisse auf dem Ölmarkt wurden neu gemischt. In der Folgezeit kam „annähernd die Hälfte des Öls für Europa ... von amerikanischen Firmen, was bedeutete, dass dafür in Dollar zu bezahlen war. Für die meisten europäischen Länder war Öl der größte Einzelposten in ihren Dollarbudgets. 1948 wurde geschätzt, dass in den folgenden vier Jahren mehr als 20 Prozent der gesamten Marshall-Plan-Hilfe für die Importe von Öl und Öltechnik aufgewendet werden mussten. Es ist die fundamentale Tatsache, dass der Marshall-Plan eine weitreichende Veränderung in Europa ermöglichte und vorantrieb – aber nicht nur zum Nutzen und Frommen der Europäer (wie gerne in den  Geschichtsbücher geschrieben wird), sondern vor allem zum Nutzen der US-Ölkonzerne. Nicht zufällig fällt die Zeit des Übergangs von einer kohlegestützten Wirtschaft zu einer, die von importiertem Öl abhängt, in diese Zeit.

Mit dem wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch der Sowjetunion ist die politische und militärische Blockade der kapitalistischen Mächte entfallen. Diese gewachsene Handlungsfreiheit nutzten sie sofort in den Balkankriegen (Bosnien und Kosovo), die Jugoslawien als unbequeme und selbständige Macht auf dem Balkan beseitigten und den gesamten Balkan unter die Kontrolle der Europäischen Union und der NATO brachten. Auch die EU-Osterweiterung und die NATO-Erweiterung nach Osten brachten und bringen eine Machtausdehnung der alten Kolonialmächte. In gewisser Weise spielte der Irak-Krieg für die Golfregion die Rolle, die die Bosnien- und Kosovo-Kriege auf dem Balkan spielten: Die Unterwerfung einer selbständigen Regional-Macht soll die Kontrolle über ganze umliegende Region verschaffen – bei Jugoslawien die Kontrolle über den Balkan, beim Irak über die Ölregion des Nahen Ostens. Michel Chossudovsky schrieb: „Hinter der US-Kampagne gegen den internationalen Terrorismus steht die Militarisierung großer Weltregionen, die zu dem führt, was man am besten als ‚Amerikanisches Imperium’ beschreiben kann. Das verschwiegene Ziel dieses Krieges ist die Rekolonialisierung – eine Rekolonialisierung, bei der es darum geht, souveräne Staaten in koloniale oder halbkoloniale Territorien zu verwandeln.“

Warum es keine Ruhe im Nahen Osten gibt

Nirgends auf der Welt sind die Verfechtungen von Großkonzernen und Regierung so ausgeprägt wie in den USA; nicht zuletzt die Ära Bush hat das – wie keine andere – sichtbar gemacht. Die nach dem 2. Weltkrieg in Kraft tretenden Bestimmungen der Konferenz von Bretton Woods, brachten den USA wirtschaftlich und politisch weltweit die Führungsposition ein, weil sie den US-Dollar zur Leitwährung machten. Auf dem Gipfel der Macht konnten die USA mittels eines „Dollarimperialismus“ herrschen. Gleichzeitig stieg der Einfluss gerade der international operierenden Ölwirtschaft enorm. Bis einschließlich 1947 exportierte Amerika mehr Öl, als es importierte. Doch dann kehrte die Bilanz sich um; 1948 übertraf die Einfuhr von Rohöl und Ölprodukten erstmals die Ausfuhr.

Diese Verschiebung verlieh der leidigen Frage der Versorgungssicherheit eine neue Dimension. Die Lektionen aus dem Zweiten Weltkrieg, die wachsende wirtschaftliche Bedeutung des Öls und die Größe der Vorkommen im Nahen Osten trugen vor dem Hintergrund des beginnenden Kalten Krieges mit der Sowjetunion dazu bei, den gesicherten Zugang zu diesem Öl zu einem Kernelement des amerikanischen, britischen – und westeuropäischen – Sicherheitsdenkens werden zu lassen. Öl war der Punkt, an dem Außenpolitik, internationale Wirtschaftsbestrebungen, nationale Sicherheit und Unternehmensinteressen konvergierten. Im Brennpunkt lag der Nahe Osten. Dort waren die Firmen bereits mit dem raschen Ausbau der Förderung und der Ausarbeitung neuer Arrangements zur Sicherung ihrer Positionen beschäftigt.“ (zitiert nach Daniel Yergin).

Jede Art von Unruhe oder Kriegsgefahr im Nahen Osten wirkt sich auf den Ölpreis aus, weil in der Region die wichtigsten Ölreserven der Welt lagern… und so sind diese Unruhen auch „Geschäftsgrundlage“ von Kreisen, die an steigenden Ölpreisen Interessiert sind. Diese Kreise sind bekanntermaßen die mit der Regierung der USA eng verflochtenen Ölkonzerne und die Spekulanten, die Vorkaufsrechte für knapp die Hälfte des weltweit gehandelten Rohöls halten

Wilfried John

Teil III folgt – Es gibt keine Gewinner



                                                                           

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