Frieden lernen in Gaza – Zum Internationalen Jahr der Aussöhnung Teil 1 "Die Wahrheit stirbt zuerst"


Frieden lernen in Gaza – Zum Internationalen Jahr der Aussöhnung

Teil I. Die Wahrheit stirbt zuerst

Man vergisst vielleicht wo man die Friedenspfeife vergraben hat, aber
niemals wo das Kriegsbeil vergraben liegt.
Mark Twain




Aktueller Anlass

Nun ist die stille Weihnachtszeit vorbei. Eigentlich gab es sie ja so gut wie nie und trotzdem hatten wir uns so schön in ihr eingerichtet. Auch ich – ich gebe es zu – nutzte diese Zeit am Ende eines jeden Jahres, um Urlaub zu machen und mich, fern von meiner Alltäglichkeit und den nervenden Nachrichten zu erholen.

Auch in diesem Winter bezog ich ein kleines Appartement im Algarve und ließ es mir wohl ergehen. Mein Wohlergehen wurde aber jäh unterbrochen… in dem mir mit der Wucht medialer Bilder, die Gewalt vor Augen geführt wurde, die seit nunmehr über achtzehn Tagen in Gaza wütet.

Doch Vorsicht, Sprache ist kein einfach zu handhabendes Medium. Denn erstens wütet die Gewalt nicht erst seit achtzehn Tagen in dieser Weltgegend, zweitens ist Sprache von Interessen geleitet und drittens kann ihre Verwendung sowohl aufklärend wirken, wie sie auch das Gegenteil davon bewirken kann.

Seit ich 1982 nur eines dummen Zufalls wegen NICHT in Beirut weilte (die Havarie einer von mir gebauten Maschine, machte stattdessen meinen Einsatz in Nigeria notwendig) als israelische Truppen den Libanon angriffen und in Beirut alles kurz und klein schlugen, interessiere ich mich für das was man gemeinhin (verharmlosend) den Nahost-Konflikt nennt.

Seit dieser Zeit – und weil ich mich aus geschichtlichen/politischen/kulturellen Gründen durchaus auch der Arabischen Welt verbunden fühle – nehme ich Nachrichten aus der Region gewissermaßen persönlich. Natürlich nehme ich es auch persönlich, wie jeder klardenkende Mensch, wenn mich jemand betrügen will; wie sollte man so etwas auch nicht persönlich nehmen. Wenn ich es noch nachvollziehen kann, dass Nachrichten aus Nahost nicht von jedermann persönlich genommen werden, so kann ich das für den Betrugsfall keineswegs verstehen. Was aber ist mit der heutigen Berichterstattung aus Gaza?

Aus dem vorigen Absatz wird offenbar, dass ich in meinem Urlaub die Berichterstattung über den jüngsten Krieg in Nahost verfolgte. Natürlich war das auch Thema in den portugiesischen Medien… da mein Portugiesisch allerdings nicht ausreicht, um solch komplexe Nachrichten genau zu erfassen, griff ich auf die deutschen Satelliten-Fernsehprogramme zurück. Es war und ist erschreckend, was uns da als Nachrichten vorgesetzt wurde (und ich schreibe dieses Wort im Sinne von Fütterung/Trog/Schweinefraß)! Ohne die Online-Ausgaben kritischer Zeitungen, hätte man als normaler Medienkonsument keinerlei Chance auf Information – aber mit hoher Wahrscheinlichkeit, eine hohe Dosis Desinformation.


Diese Berichterstattung war es schließlich, die mich veranlasste einem ausführlichen Artikel über diesen Konflikt zu schreiben, den ich als kleine Serie hier veröffentlichen möchte; auch um der geneigten Leserschaft alternative Informationen zugänglich zu machen, damit überhaupt etwas entstehen kann, das es wert ist eine Meinung genannt zu werden. Aus deutscher Sicht erscheint mir das deswegen so wichtig, weil in diesem Jahr Politiker gewählt werden wollen, denen es offenbar nicht so recht um die Sache des Friedens, als vielmehr um die Sache der Verteidigung der freien internationalen Handelswege und der ungehinderten Rohstoff-Zufuhr, mit „robusten Mandaten“ (mit solchen Nebelworten wird heutzutage das Kriegführen bezeichnet) geht.

Es ist bestimmt schon oft geschrieben und gesagt worden, dass im Krieg die Wahrheit als erstes stirbt. Aber es kann nicht oft genug wiederholt werden, damit man nicht auf eine Propaganda hereinfällt, die lediglich versucht uns vor einen Karren zu spannen, der so recht nicht unser Karren ist. Ich jedenfalls verspüre keine Lust, als dukatenkackender Esel die Sache zu finanzieren und mich dann – wenn’s mal wieder zu nichts anderem führt, als dass der Karren heillos im Dreck festgefahren ist – auch noch davor spannen zu lassen, um ihn wieder flott zu bekommen.

Jeder sollte prüfen, ob er Nutznießer des Krieges ist und wenn das offenbar nicht der Fall ist, sich an das alte Gedicht von Brecht erinnern: Der kleine Mann wird gern benutzt / die Karre aus dem Dreck zu ziehen / dann findet man ihn stark verschmutzt / und fährt weiter ohne ihn.

2. Berichterstattung der Medien

Einerseits bin ich natürlich der Auffassung, dass eine ausgewogene Berichterstattung aus journalistischer Sicht und aus der Sicht der Nachrichtennutzer, die beste Art der Berichterstattung ist; insofern finde ich, dass die Qualität der Berichterstattung z.B. in der Nachrichtensendung „Tagesschau“ des Ersten Deutschen Fernsehens gegenüber den Sendungen der meisten Privatsender haushoch überlegen ist. Dennoch, wenn diese Ausgewogenheit in einer 15-Minuten-Sendung hergestellt wird, dann ist das eine zweifelhafte Ausgewogenheit, weil wichtige Informationen einfach unter den Tisch fallen.

Außerdem bin ich der Meinung, dass es manchmal eben sein muss, dass Journalisten Stellung beziehen müssen (wieder so ein militaristischer Kraftausdruck – Sprache, man muss vorsichtig sein); dann gibt es eben nichts auszuwiegen. So auch in diesem Fall: Es wird ständig behauptet, Israel lasse täglich Lastwagen mit Medikamenten und Nahrungsmitteln für die Bevölkerung in den Gazastreifen hinein und der Krieg richte sich nicht gegen die Menschen, sondern gegen die Hamas.

Da wird natürlich sehr genau gezielt... und nur Kämpfer getroffen

Da ist die BBC (es gibt auch diesen britischen Sender über Satellit – und mein Englisch ist besser als mein Portugiesisch) schon deutlicher: In einem Bericht auf BBC war deutlich zu erkennen, dass unter den in die Krankenhäuser eingelieferten Verletzten bislang nur zwei Kämpfer der Hamas waren, aber Hunderte von verletzten Frauen, Kinder und Unbewaffnete. Die Sterberate sei extrem hoch, hieß es bei der BBC, weil sie keine Medikamente erhalten. Kein journalistisches Ruhmesblatt für die „Tagesschau“; aber leider wird hierzulande Tag für Tag, offenbar flächendeckend in den Medien, einseitig berichtet.

Man sollte wissen, dass Israel seit dem Beginn der Bombardements am 27. Dezember Journalisten den Zutritt zum Gazastreifen verweigert. Die Regierung in Jerusalem nennt vor allem „Sicherheitsgründe“, weshalb es keinen der 350 angereisten Kriegsreporter und 900 in Israel akkreditierten Journalisten in den Gazastreifen lässt. Das spricht allen Grundsätzen Hohn, nach denen Israelis selbst leben wollen. Israel will eindeutig die Berichterstattung zu seinen Gunsten kontrollieren. Eine Klage der Vereinigung der Auslandskorrespondenten vor dem Obersten Gericht in Israel endete mit dem Vergleich, dass acht Reporter am Freitag, den 2. Januar, in den Gazastreifen gelassen werden sollten, die übrigen Medien sollten deren Berichte übernehmen dürfen.

Doch dann wurde die Grenzöffnung auf Montag, den 5. Januar, verschoben und schließlich ganz aufgegeben. Ein AP-Korrespondent stellte fest, dass viele Reporter daher viel Zeit damit verbringen, auf Israel gefeuerte Raketen und den durch sie entstandenen Schaden zu filmen. Auch deutsche Korrespondenten berichten darüber und müssen es hinnehmen, dass ihr Bericht von den Moderatoren in der abendlichen Nachrichtensendung dazu benutzt wird, um Verständnis für die mörderischen Angriffe der israelischen Armee auf die Bevölkerung von Gaza zu werben.

Es geht Israel allerdings nicht nur um Informationsblockade, denn es gibt ausländische Journalisten vor Ort. Die Korrespondenten des Fernsehsenders Al Dschasira, von Al Arabia und Press TV sowie palästinensische Kollegen verschiedener Nachrichtenagenturen berichten unter Lebensgefahr über das Geschehen in Gaza. Ihre Bilder erreichen dank Satellitenübertragung Millionen Fernseh-Zuschauer in aller Welt, doch deutsche Medien zeigen sie kaum. Funk und Fernsehen berichten nicht, dass die palästinensischen Opferzahlen in Gaza mehr als hundertmal höher sind, als die auf israelischer Seite. Man erfährt nicht, dass Israel täglich aus den USA mit 6,8 Millionen US-Dollar unterstützt wird, während die palästinensische Administration 0,3 Millionen Dollar erhält.


65 UN-Resolutionen gibt es gegen das Vorgehen Israels und keine gegen das Vorgehen der Palästinenser. Ein Israeli ist in palästinensischer Gefangenschaft, während 10.756 Palästinenser in israelischer Gefangenschaft sind. Die Palästinenser haben außerhalb von Kriegshandlungen kein israelisches Haus zerstört, während Israel (seit 1967) 18.167 Häuser von Palästinensern vernichtete. Zudem hat Israel 223 illegale Siedlungen in Palästina, während die Palästinenser Flüchtlinge in ihrem eigenen Land sind.

Aber anstatt seinen Aufgaben gerecht zu werden, die er dem Titel nach hat, erklärte Daniel Seaman, Direktors des israelischen Presseamtes, zynisch: Der Ausschluss westlicher Medien aus dem aktuellen Krieg führe zur Desinformation. Die Hamas fälsche die Bilder und Berichte aus dem Gazastreifen, um Israel in ein schlechtes Licht zu rücken. Er bezeichnet die Berichte aus Gaza als „fragwürdig“.

Das ist ein gutes Wort… die Bilder sind in der Tat einer Nachfrage würdig. Allerdings nicht in dem Sinne sie in Zweifel zu ziehen, sondern im Sinne von: Was tut Israel da eigentlich? Diese Frage wird in der Wirklichkeit deutscher Medien kaum gestellt, stattdessen wird so artig „ausgewogen“ über den Krieg berichtet, dass palästinensische oder kriegskritische Stimmen, wie kürzlich die von Jamal Nazzal (Vertreter der palästinensischen Fatah) nur selten zu hören sind. In einem Deutschlandfunkinterview kritisierte Nazzal, er habe die Berichterstattung westlicher Medien über den Krieg in Gaza beobachtet und festgestellt, sie „könnte ein Teil eines israelischen Informations-Ministeriums sein. Das Motto westlicher Berichterstattung besteht darin, dass die Hamas eine Terrororganisation sei.“

Überall in deutschen Städten regt sich Protest. So fand z.B. am 3. Januar in Frankfurt/Main eine der größten Friedensdemonstrationen der vergangenen Jahre statt – aber anstatt darüber zu berichten, verschwiegen die großen Zeitungen das Ereignis; nicht einmal in der Online-Ausgabe wurde berichtet. Dann wurde es den Machern offenbar peinlich und so schoben sie einen süffisant-zynischen Bericht im Lokalteil nach. Zudem wurde der Antikriegsprotest von der „Frankfurter Rundschau“ (die sogar als ein links-liberales Blatt gilt) runter geschrieben; im einträchtigen Kanon mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (die eher das Gegenteil von links-liberal ist), „senkten“ die Blätter die Zahl der Demonstranten von im Rundfunk gemeldeten 10.000 Teilnehmer auf 7000.

Angesichts einer solchen Redaktionspolitik in den großen deutschen Blättern, stellt sich natürlich die Frage nach dem Warum. Offenbar spielt sich hier im Kleinformat etwas ab, was sich in den USA vor dem Afghanistan-Krieg und dem letzten Irak-Krieg abspielte: eine quasi Selbstzensur der Presse.


In den deutschen Medien wird offenbar willfährig genau die Linie vertreten, die das Bundesaußenministerium vorgibt. Damals, vor dem Irak-Krieg hieß es, Deutschland beteilige sich nicht am Krieg. Wie sich später herausstellte, war Deutschland doch nicht so unbeteiligt wie die offiziellen Stellen behaupteten – was Deutschland viel und vor allem sehr berechtigte internationale Kritik einbrachte; vor allem in Ländern mit den wir auf gute (Handels-)Beziehungen angewiesen sind, wurde schlecht über Deutschland berichtet.

Heute ist es noch eindeutiger: Die beste Bundeskanzlerin aller Zeiten (DieBaZ) Angela Merkel und ihr Außenminister Frank-Walter Steinmeier weisen die Schuld für den laufenden Gaza-Krieg einseitig der Hamas zu und Merkel hat obendrein schon angedeutet, dass „Deutschland seiner Verantwortung bewusst sei und sich an einer internationalen Mission beteiligen könne.“

Die Agenturen wollen sich offenbar an die von den Regierenden vorgegebene Linie halten. Wenn man aber unsere Nachrichtenlage z.B. mit der BBC und andere Medien im Internet vergleicht, denen man keinerlei Sympathien für die Hamas unterstellen kann, wird sehr schnell deutlich: Die israelische Besatzung trägt Schuld an diesem Krieg. Mitschuld treffen indirekt die Europäische Union, die USA – und Deutschland. Sie liefern Waffen an Israel und fordern die Hamas zur Zurückhaltung und sofortigen Einstellung der Kampfhandlungen auf. Das ist absurd.

Wenn Medien in der Mehrheit dieser Linie folgen, ist es nur so zu erklären, dass sie sich mit der Position der Mächtigen und Herrschenden nicht anlegen wollen. Beschämende Auffassung von Journalismus.

Ein weiterer Grund für diese Art der Berichterstattung könnte darin bestehen, dass die Medien in Deutschland keine Stellung gegen Israel beziehen wollen. Aufgrund unserer Geschichte haben wir in Deutschland ein Problem: Vielen Menschen fällt es aus diesen historischen Gründen – also namentlich wegen des Holocaust – schwer, sich im Nahost-Konflikt gegenüber Israel kritisch zu äußern. Natürlich gibt es in Deutschland Antisemiten, Neo-Nazis und andere Rechte, die im Fahrwasser einer eventuellen Kritik an Israel segeln (wollen). Sehr schnell wird also, bei laut werdender Kritik an Israel, die Keule des Antisemitismus geschwungen.

Es dürfte aber doch für eine differenzierte Berichterstattung ein Leichtes sein, sich gegen solche Unterstellungen zu verwahren. Ich selbst verwahre mich doch auch dagegen antisemitisch zu sein – nur weil ich den Angriffskrieg der Staatsführung Israels als das bezeichne was es ist; nämlich ein illegaler Angriffskrieg.

3. Stimmen aus Israel

Kritik an diesem Angriffskrieg zu üben ist nicht antisemitischer als der Krieg selbst, denn die Politik Israels gefährdet das Leben vieler Israelis (Juden). Im Gegenteil: Eine Kritik ist notwendig und ein Akt der Solidarität mit dem israelischen Volk! Die israelische Linke (ja, die gibt es dort) erwartet sogar, dass wir eindeutig gegen den Krieg Stellung nehmen und sie mit dieser Haltung in Israel selbst nicht allein lassen. Sie haben es in Zeiten wie diesen, in denen die Presse nur noch Propaganda schreibt und die Wahrheit als erstes stirbt, schwer sich Gehör zu verschaffen, denn die Rechten übertönen sie mit Sprechchören wie „Tod den Arabern“; z.B. vergangenen Samstag in Tel Aviv.

Zu Beginn dieses Artikels habe ich schon auf die Situation von 1982 im Libanon hingewiesen; mit all den elenden Folgen für das Palästinensische Volk… und natürlich für die Libanesen, die die Güte besessen hatten, die Flüchtlinge aufzunehmen. Schon damals hat die israelische Armee, mit dem Argument sich verteidigen zu müssen, ein fremdes Land überfallen. Aber heute ist die Lage für die Palästinenser viel schlimmer. Die Situation ist deshalb anders, weil die Kontrahenten Israels auf Seiten der Palästinenser viel schwächer sind, als das damals für die PLO in Beirut zutraf.

Außerdem gibt es im Gaza-Streifen eine Zivilbevölkerung von anderthalb Millionen Menschen, die seit Monaten unter einer Blockade leben und fast nichts mehr haben: kein Einkommen, keine Nahrung, kein sauberes Wasser, keine Medikamente. Schlimmer ist die Situation auch deshalb, weil es, wie die israelische Autorin und Menschenrechtsaktivistin Felicia Langer ausdrückt: „… für die Palästinenser aus Gaza keinen Platz unter der Sonne gibt, an dem sie eine Zuflucht finden könnten.



Das war 1982 anders, als Arafat mit der PLO nach Tunis ausweichen durfte. Die Palästinenser jetzt sind eingekesselt und werden wie Geiseln behandelt, die sich kaum rühren können. Außerdem ist das ihre Heimat, die sie nicht verlassen wollen.“ Vor allem ist es auch ein Unterschied zu 1982, wie sich damals die Weltgemeinschaft verhielt und so ganz anders reagierte und mehr Verständnis für die Palästinenser aufbrachte. Heute schweigt die Welt und sieht zu. Und noch einmal die Israelin Felicia Langer: „Ich weiß, es ist fragwürdig, das zu sagen, aber manchmal hat es in meinen Augen schon den Anschein von Komplizenschaft, wie der israelischen Propaganda geglaubt wird.“ Dabei gibt sie zu verstehen, dass sie einen Unterschied von Öffentlichkeit und Politikern sieht.

Die angesprochene Propaganda der israelischen Regierung unter Premier Olmert erklärt im Stile einer tibetanischen Gebetsmühle, Ziel der Operation "Gegossenes Blei" sei nicht die Vernichtung von Hamas. Das ist eine Propaganda-Lüge. Die unabhängigen israelischen Journalisten gehen selbstverständlich davon aus, dass es um nichts anders geht, als die Hamas zu vernichten. Aber nicht nur das. Die jetzige israelische Regierung will das palästinensische Volk in eine Kapitulation treiben und dermaßen unterwerfen, dass jede Lösung – und sei es ein palästinensischer Staat, der nur aus ein paar Bezirken besteht – diktiert werden kann.

Das heißt, die Palästinenser sollen soweit gebracht werden, in ihrer Verzweiflung und Frustration jede Lösung anzunehmen, die ihnen Israel präsentiert. Insofern erleben wir sogar nicht nur einen Krieg gegen die Hamas, sondern gegen alle Palästinenser. Es wäre sogar nutzlos gewesen, wenn die Hamas die Waffenruhe bedingungslos verlängert hätte. Die Wahrheit ist: Die Regierung Israels hat diesen Angriff seit Monaten geplant und provoziert; es gab immer wieder gezielte Exekutionen im Gaza-Streifen.

Allein am 4. November, während in den USA gewählt wurde, tötete ein Raketenangriff sechs Palästinenser. Außerdem hätte Israel doch die Bedingung von Hamas für eine verlängerte Waffenruhe nur anzunehmen brauchen, eine überaus plausible Bedingung: nämlich die inhumane Blockade des Gaza-Streifens endlich wieder zu öffnen. Aber in Jerusalem schwieg man dazu und wollte mit der militärischen auch in die politische Offensive gehen. Denn schließlich wird am 10. Februar wird in Israel gewählt. Wegen der anstehenden Knesset-Wahl wollen/müssen sich offenbar einige Politiker profilieren; es geht um die Macht, (denn Olmert muss ja wegen Korruption-Verdacht gehen).

Zipi Livni, derzeit Außenministerin und Vorsitzende der größten Regierungspartei, will Ministerpräsidentin werden. Dazu muss sie als Politikerin in Israel, die zwar im Geheimdienst Mossad gedient hat aber nie ein hohes Amt in der Armee hatte, auch beim Thema Krieg als Sachverständige anerkennt werden. Ehud Barak, der Verteidigungsminister aus der Arbeitspartei – in den Umfragen immer etwas hinten – wollte zeigen, dass er als Verteidigungsminister einen Feldzug befehlen kann, der nicht zu einem solchen Fiasko führt wie der Libanon-Krieg 2006. Und beide zusammen wollten sie eines sagen: Schaut her, wir sind nicht weniger wert als Netanyahu. Prompt hat Barak hohe Werte bei den Umfragen.

4. Deutschlands Regierung zum derzeitigen Krieg

Nun, ich habe schon auf die unselige Verstrickung Deutschlands in den Irak-Krieg, und die Wirkung die das international hatte, hingewiesen. Das ist aber – gemessen an dem was nun schon abläuft (?) oder zumindest vorbereitet wird – Kleinkram. Die Regierung Deutschlands ist dabei, den guten Ruf, den wir international bei der Vermittlung in Konfliktsituationen haben, zu verspielen. Die einseitige Parteinahme für Israel durch Merkel ist eine skandalöse und völkerrechtswidrige Position.

Auch Frau Dr. Merkel müsste wissen, dass Israel gegen die IV. Genfer Konvention verstößt, die besagt, dass eine Besatzungsmacht Fürsorgepflichten für die von ihr besetzten Gebiete und die dort lebende Bevölkerung hat – und das gilt für Gaza, solange es keinen souveränen Palästinenser-Staat gibt und Israel die volle Kontrolle über dieses Gebiet ausübt. Schon die 18-monatige Schließung der Grenzübergänge zum Gazastreifen hat gegen die IV. Genfer Konvention verstoßen und selbst UN-Vertreter machen Israel für den Bruch des Waffenstillstandes verantwortlich, nicht      die Hamas, die fast ausnahmslos als »radikalislamische Terrororganisation« bezeichnet wird, mit der man nicht verhandelt, was geradezu Originalton israelische Regierung ist. Deutschland hat die IV. Genfer Konvention ebenfalls unterzeichnet und kann sich nicht einfach hinter Israel stellen, wenn dessen Regierung so handelt wie jetzt.


In Wirklichkeit leistet Merkel Israel einen schlechten, um nicht zu sagen schrecklichen Dienst, sie verteilt Streicheleinheiten, anstatt zu sagen: Man muss verhandeln, auch mit Hamas; zumal offenbar sogar Barak Obama, in dieser Frage, einen Kurswechsel in der us-amerikanischen Außenpolitik einleiten will und mit der Hamas verhandeln will. Anstatt also einseitige Parteinahme zu praktizieren, sollte die Deutsche Regierung Druck auf Israel ausüben – mit dem Ziel, dass Israel wieder mit den Palästinensern verhandelt. Mit der Zwei-Staaten-Lösung in den Grenzen von 1967 haben sich die Palästinenser doch zu einem, für sie schmerzlichen, Kompromiss durchgerungen.

Es ist ziemlich schrecklich, wie bedingungslos hierzulande zu den Israelis gehalten wird - gleichgültig, was die auch immer anstellen. Und mindestens ebenso schrecklich ist die Position zu den Palästinensern – die, schon fast stigmatisiert, immer als die Schuldigen hingestellt werden, von denen man selbstverständlich Vorbedingungen zum Frieden verlangt. Aber hat denn Israel überhaupt gezeigt, dass es Frieden will? Nein. Stattdessen ging der Siedlungsbau in der Westbank immer weiter, wurde (auf palästinensischem Gebiet!) eine Mauer gebaut, wurden und werden die Palästinenser gezielt wirtschaftlich geschädigt. Noch einmal die Israelin Felicia Langer: „Wir reden viel über Frieden, aber in Wirklichkeit ist Frieden für uns nur eine Floskel.“

Erst massiver internationaler Druck wird Israel davon überzeugen, mit dieser Politik Schluss zu machen und mitzuhelfen, dass ein lebensfähiger palästinensischer Staat entsteht, mit dem man – mit der Zeit – gut nachbarlich existieren kann (gerade Deutschland hat doch da Erfahrungen mit ehemaligen Erzfeinden!). Leider bewirkt die deutsche Außenpolitik das Gegenteil – genau genommen leistet sie dem Krieg Vorschub. Was Frau Merkel sagt, ist nicht nur skandalös, sondern auch politisch dumm. Wenn ich wirklich Frieden möchte, dann stärke ich doch zuerst die friedlichen internen Kräfte. Frau Merkel, es gibt eine israelische Friedensbewegung!


Es kann ja sein, dass die Bundeskanzlerin nicht weiß was eine Friedensbewegung leisten kann (als eine Friedensbewegung in der BRD gegen die Atomrüstung stark war, war sie ja noch nicht im Lande – sie könnte aber ihren Außenminister fragen, oder, besser noch, dessen Vorgänger). Frau Merkel, der israelischen Friedensbewegung sollten sie helfen, anstatt den Falken das Wort zu reden. Ja, Israel hat ein Recht auf seine Sicherheit, aber der Weg dorthin führt nicht über Leichenberge aus palästinensischen Frauen und Kindern.

5. Und die Palästinenser

Es hat noch nie geholfen, irgendjemanden – der eh nichts mehr zu verlieren hat – zu verteufeln; im Gegenteil. Anstatt die Hamas als Terrororganisation zu behandeln (was ja nicht völlig falsch ist, aber auch nicht ganz richtig), sollte man die Zeichen zum Verhandlungswillen nicht mutwillig ignorieren. Hamas-Führer Chalid Maschal hat klar gesagt, wenn das palästinensische Volk die Zwei-Staaten-Lösung akzeptiert, wird Hamas sie auch akzeptieren.

Vor zweieinhalb Jahren schon, tauchte ein Memorandum in der Öffentlichkeit auf, das unter dem Namen „Das Papier der Gefangenen“ bekannt wurde. Geschrieben worden war es von palästinensischen Politikern in israelischen Gefängnissen. Darin ist ebenfalls von zwei Staaten die Rede. Keiner hat dem widersprochen, auch Hamas nicht. Dies kam einer Anerkennung Israels gleich.



Wir könnten aus der Vergangenheit lernen – das heißt, wenn wir wollten. Ich erinnere an die PLO und Arafat. Hatte denn nicht auch die PLO einmal eine Charta, in der die Existenz des Staates Israel ausdrücklich nicht anerkannt wurde? Trotzdem hat man mit der PLO und Arafat verhandelt und die Oslo-Verträge geschlossen. Warum verfährt man mit Hamas nicht genauso? Stattdessen tötet die israelische Luftwaffe den Hamas-Politiker Nisar Rian mitsamt seiner Frau und seinen acht Kindern. Und alle Welt tut so, als wäre das normal. Aber das war Mord und sollte auch so genannt werden. Die ganze Offensive ist ein Kriegsverbrechen.



Teil II folgt – Zur Geschichte des Konflikts



Wilfried John


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