Wasser predigen und
Wein saufen - Über Moral und Werte in der Wirtschaft
"Moralisten
sind Menschen, die sich dort kratzen, wo es andere juckt." Samuel
Beckett
Anlass/Ausgangslage
Dieser Artikel entstand auf Anregung eines Artikels von dem
geschätzten Kollegen Hubertus von Wenzel, in dem er eine Analyse von Karin
Fischer, Lehrbeauftragte am Projekt Institut für Internationale Entwicklung an
der Uni Wien, berichtete. Frau Fischer beschäftigt die Auswirkung des
vorherrschenden neoliberalen Wirtschafts-Modells auf das
Demokratie-Verständnis. Sie konstatiert, dass die aktuell allenthalben zur
Schau getragenen (scheinbaren) Machtlosigkeit der Politik gegenüber dem Markt,
bei den Menschen ein Misstrauen gegenüber der repräsentativen Demokratie, den umfassenden
Teilhaberechten u. kollektiven Interessenvertretungen erzeugte und das nicht
erstaunlich sei.
Frau Fischer kommt zu dem Schluss, dass eine Chance für
Veränderung dieses neoliberalen Modells darin läge, sich „beim Kampf für die Überwindung
des herrschenden Zeitgeistes auch auf das Terrain der Wertvorstellungen zu
begeben." In einem
Kommentar merkte ich an: „Ich glaube nicht, dass eine Wertedebatte zur
Überwindung des herrschenden Zeitgeists führt; es sei denn, sie meint es in
einem anderen Kontext als den, in dem der Begriff üblicherweise verwendet wird.
Ich möchte betonen, dass ich eine solche Debatte für absolut notwendig halte...
aber das genügt eben nicht.“ Ich möchte versuchen, mit diesem Artikel den
diesem Kommentar zu Grunde liegenden Gedanken näher zu beschreiben.
Wertedebatten in den
Unternehmen
Wertedebatten im Allgemeinen und
Wertedebatten zum Verhältnis von Wirtschaft zur Gesellschaft im Besonderen, sind
allzu oft Elitendiskurse; meist gehen sie spurlos an jenen vorbei, in
"deren Namen und zu deren Kosten" sie geführt werden. Günstigstenfalls
sehr langfristig werden sie Ergebnisse zeitigen – wobei nicht gewährleistet
ist, zu wessen Nutzen diese Erfolge sind, da die Veränderungen der sog. Werte
prozessual vonstatten geht und der Interessenskonflikt zwischen
wirtschaftlichen und sozialen Interessen ja nicht unterbrochen wird. Das
"neoliberale Modell" benötigte ja auch Jahrzehnte und erhebliche
Mittel für Propaganda (die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft in
Deutschland allein in den letzten zehn Jahren 100 Mio. €).
Zudem konnte ich ist im Zuge
meiner Arbeit als Berater von betrieblichen Interessenvertretungen in den
letzten Jahren feststellen, dass in den Unternehmen selbst, die Diskussion über
die ethische Dimension in der Wirtschaft, an (wenn auch vielleicht nur)
Bedeutung gewonnen hat. Business ethics wurde zum boomenden
Minderheitenprogramm in der Betriebswirtschaftslehre. Auch wenn diese Debatten
sehr häufig nur von den periodisch wiederkehrenden Skandalen in der Wirtschaft
lebt, so zeigt aber genau dies, was mit solchen Debatten erreicht werden soll:
Die Verteidigung des Modells.
Aus den egoistisch Handelnden in
der Wirtschaft soll ein "ethisch konvertierter homo oeconomicus"
werden. Dieser argumentiert sein unternehmerisches Handeln eloquent mit
ethischen Werten. Seine Interessen verfolgt er aber weiterhin sehr eigennützig.
Untersucht man aber Unternehmensethik auf ihre spezifischen
Legitimationsfunktion für das Verschieben der Verteilungskonstellation von
Unten noch Oben, stellt man fest: Je ungleicher die Marktergebnisse, desto
lauter scheint der ethisch gegründete Ruf nach Chancengleichheit zu ertönen.
E.A. Rauter formulierte einmal im Blick auf Vertrauen in der Wirtschaft: Je
lauter der Ruf nach Vertrauen, desto größer die Zahl der Betrüger.
Von der Ethik zur
Moral
Ethik bezieht sich auf
menschliches Handeln. Der Begriff kommt von dem griechischen Wort ethos und
kann übersetzt werden als Gewohnheit (Pieper 1972). Ethik als philosophische
Disziplin reicht bis Aristoteles zurück, der in der Nikomachischen Ethik Glück
als „Verwirklichung der Seele gemäß der Tugend“ definierte. Theodor W. Adorno
kritisierte die Verwendung des Begriffes Ethik und zog den Begriff der Moral
vor. Denn etymologisch liegt der Begriff der Ethik nahe bei Wesensart, bezeichnet
also so etwas wie Charakter. Ein solcher Begriff würde aber die Problematik des
Verhältnisses vom Einzelnen zum Allgemeinen nivellieren. Die Moral des
Einzelnen kann in Widerspruch geraten zu den allgemeinen Sitten.
Gerade diese Fragen sind für das
Verhalten in moralischen Konfliktsituationen von besonderer Relevanz. Hingegen
hafte dem sentimentalen Kulturbegriff der Ethik pure Ideologie an (Adorno 1996,
S. 22). Adorno befürchtete, dass Fragen von Ethik sich letztlich darauf
reduzieren, dass man so handeln solle, wie man eben beschaffen sei und dies sei
doch etwas wenig. Aber genau das ist als Moral eingeführt.
Moralische Fragen stellen sich
konkret in wirklichen Situationen und können nur in Bezug auf diese gestellt
werden. Moralische Probleme sind solche, mit denen es ernst ist. Wenn es sich
entscheidet, wie ich als Mensch bin und was das für eine Gesellschaft ist, in
der ich leben will.
Die übliche Unternehmensethik
wendet sich gegen eine exzessive Gier der Besitzenden und gegen den Neid der
Besitzlosen. Damit ist sie etwas für die Eliten, weil sie dafür sorgt, dass die
Großen groß und die Kleinen klein bleiben. Unternehmensethik ist das
Schmiermittel des kapitalistischen Betriebs. Erst aus der ethischen Kritik
gewinnt der Kapitalismus seine Stabilität. Denn funktionierende
Marktwirtschaften sind auf eine gesellschaftliche Wertebasis angewiesen. Märkte
benötigen wenigstens Vertrauen und verantwortliches Handeln und sie entstehen
auf Basis von Werten.
Moral der Märkte
Protagonisten einer marktwirtschaftlichen
Ordnung betonen, dass die Beseitigung materieller Knappheiten und die optimale
Nutzung knapper Ressourcen selbst eine ethische Aufgabe darstelle. Zudem sei
die individuelle Freiheit in Marktordnungen am besten gewährleistet. Es bleibt
aber ein Paradoxon, dass der entmoralisierte Markt zum Garanten von Moral
werden soll. Im Standortwettbewerb soll das mobile Kapital die
Wirtschaftspolitik zur Verantwortung erziehen. Der Finanzmarkt würde zum
moralischen Subjekt inthronisiert werden und der Politiker zum Objekt der ethischen
Norm. Dies ist aber eine in der Öffentlichkeit weit verbreitete Denkhaltung.
Es wird zwar ein Mangel an Moral
und eine „Philosophie der Gier“ beklagt und eine Rückkehr zu einer
gemeinwohlorientierten Moral gefordert, die sich der Logik des Profits
entziehen könne (Kommunitarismus). Im Kommunitarismus erlebt republikanisch
inspiriertes Denken eine neue Blüte. Das
antike Vorbild der Bürgerschaft, deren Mitglieder an der intersubjektiven Aushandlung
gemeinsamer Angelegenheiten orientiert sind, wird restauriert. Ein Grundproblem
des Republikanismus wurde aber bereits von Dewey formuliert (Dewey 1996). Der
Mensch ist ebenso ein konsumierendes Wesen wie er ein politisches Wesen ist.
Politische Partizipation aber ist
zeitintensiv und voraussetzungsreich. Ausgehend von der Diagnose eines
Wertepluralismus wird dieses Problem einer Überforderung der Individuen noch
verstärkt. “Der Fehler besteht in einer ethischen Engführung politischer
Diskurse" (Habermas, 1999, S.283). Denn die Zivilgesellschaft ist an sich
noch nichts ethisch Positives. Es wäre deshalb ein Trugschluss zwischen den
Polen des Bösen, eines kolonialisierenden Staates und eines anonymen Marktes,
den Sitz einer werteorientierten Vernunft legen zu wollen. Ethik in diesem Verständnis
will der Marktlogik, dem „Räuberkapitalismus“ (Max Weber) Grenzen setzen und
Gerechtigkeitsüberlegungen in den Mittelpunkt rücken, riskiert jedoch, vom
Markt selbst bis zur Unkenntlichkeit begrenzt zu werden. Die Gemeinwohlrhetorik
bleibt gegenüber den Funktionsimperativen der Marktwirtschaft notwendigerweise
moralisierend oberflächlich. Und der Wertepluralismus moderner Gesellschaften
ist unhintergehbar.
Verhältnis von
Wirtschaft und Politik
Die Frage nach dem Verhältnis von
Ethik und Wirtschaft leitet über zu jener nach dem Verhältnis von Wirtschaft
und Politik. Für die Frage nach der Effektivität ethischer Forderungen ist
wichtig, welche rechtlichen Konsequenzen gezogen werden. Es ist an die
Erkenntnis von Rousseau zu erinnern, „Entre le faible et le fort c´est la
liberté, qui opprime et c´est la loi qui libère“, zwischen dem Schwachen und
dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit.
Ein höheres Strafausmaß für Bilanzbetrügereien und Insidergeschäfte etc., veränderte
institutionelle Regelungen, wie Verhaltenskodizes, Transparenzbestimmungen und Selbstverpflichtungen
zur Einhaltung von ethischen Standards, sind so betrachtet die sichtbare
rechtliche Konsequenz ethischer Kritik an bestimmten Entwicklungen in der Wirtschaft.
Aus der moralischen Defizitdiagnose
können auch ethisch gespeiste politische Reformprojekte resultieren (Etzioni
1998). Dubiel betont allgemein, dass wenigstens die destruktiven Tendenzen des
Kapitalismus verhindert werden können. Dafür sei es unter den Bedingungen der Globalisierung
notwendig, dass sich Vertreter von multinationalen Konzernen, Repräsentanten nationaler
Regierungen, Beamte internationaler Organisationen und Mitglieder von NGOs gemeinsam
um die Vermeidung des Schlimmsten sorgen (Dubiel 1997). Damit diese Allianz von
Akteuren mit divergierenden Zielen funktionieren könnte, müssen wir ein
gemeinsames Gut, das von Interessensgegensätzen nicht tangiert wird,
unterstellen. Gemeinhin sind dies die apokalyptischen Visionen von gewaltsamer
sozialer Verwerfung oder von Umweltbedrohungen . Soziale Probleme kleinerer
Reichweite (Verteilungskonflikte) eignen sich weniger für Koalitionen zwischen
Arm und Reich.
Jürgen Habermas argumentiert,
dass die Klärung von ethischen Fragen in praktischen Diskursen zu erfolgen habe
(Habermas 1999). Auch der Nobelpreisträger Sen argumentiert normativ: „Das Recht
zur Mitwirkung an kritischer Bewertung und am Meinungsbildungsprozess steht im Zentrum
der Rechte der sozialen Existenz. Die Auswahl sozialer Werte kann nicht
ausschließlich von den staatlichen Funktionsträgern dekretiert werden.“ (Sen
1999, S. 341) Öffentliche Auseinandersetzungen könnten eine entscheidende Rolle
in der Bildung sozialer Wertvorstellungen spielen. In den an die Finanzskandale
der näheren Vergangenheit (z.B. dem Crash 2002) anknüpfenden Debatten hätte
sich die Gesellschaft ihrer Wertorientierungen versichern können und
Verhaltenserwartungen an politische und ökonomische Eliten formulieren können;
das geschah nicht oder wenn, dann in wohlfeiler Rethorik ohne Konsequenzen.
Die Diskussion muss sprichwörtlich
wieder von Kopf auf die Füße gestellt werden. Ich habe keinen Zweifel am
Argument von Habermas und deshalb mache ich mir auch keine Illusionen darüber,
dass von etablierter Seite her Hilfe zu erwarten ist - sie wird von dort nicht
kommen. Einen wichtigen - und für die Debatte ausschlaggebenden - Teil meiner
politischen Ausprägung, erfuhr ich in Jahrzehntelanger aktiver Gewerkschaftstätigkeit
und in betrieblichen Interessenvertretungen. Diese Tätigkeiten beweisen mir,
dass in direkter demokratischer Teilhabe, in der direkten Aktion, unsere
Angelegenheiten bestens aufgehoben sind; das zeigte sich besonders deutlich
Mitte der 1980er Jahre, als es um die Durchsetzung von Arbeitszeitverkürzung
ging. Aus der Mitwirkung bei der Verwirklichung dieser sozialer Errungenschaft,
wurde seht schnell eine gesellschaftliche Debatte und eine Zeitlang sah es so
aus, als hätte diese Debatte die Wertvorstellungen verändert.
Direkte Demokratie
Aber - ich sprach in ersten
Absatz schon vom prozessualen Charakter der Bildung von Wertvorstellungen - den
widerstreitenden Interessen ist es gelungen, diese Veränderung wieder (zumindest
teilweise) zurückzudrängen. Wir brauchen also eine Wiederbelebung dieser
Debatte und sollten die Gewerkschaften stärken und bestärken, die
Auseinandersetzung wieder aufzunehmen. Auch die (in Deutschland) vor uns
liegende Tarifrunde ist geeignet, über die Verteilungsfrage an den
Wertvorstellungen zu arbeiten, indem gleichzeitig über die Selbstbedienungsethik
der Profiteure des neoliberalen Modells reflektiert wird; Wut muss Folgen
haben.
Konsequenterweise muss das dazu
führen, dass die politischen Parteien auf den Prüfstand gestellt werden. Es
muss für sie gefährlich werden (im Sinne von Wählbarkeit), weiterhin "dem
Markt zu opfern" und weiterhin gleichzeitig an der Schwächung des Staates
zu arbeiten. Nur so werden die Parteien wieder in die Lage versetzt, ihrer
Aufgabe - möglichst viele Menschen bei der Gestaltung der Gesellschaft einzubeziehen
- wieder gerecht zu werden. Sie müssen dafür sorgen, dass die Demokratischen Errungenschaften
nicht weiter einer schleichenden Erosion unterzogen werden und Arbeitnehmer-Schutzrechte,
die oft unter unsäglichen Opfern in das kapitalistische System hineingekämpft
wurden, unter dem fadenscheinigen Argument "sie störten den Markt"
wieder "enteignet" werden (hier stimmen die neoliberalen Heilsbringer
Enteignungen herzlich gerne zu).
Es fehlt gar nicht an politischen
Protagonisten, die analog der Formel von Brandt, "Mehr Demokratie
wagen" wollen, doch die Bestrebungen müssen von der Masse gewollt
werden... wie seinerzeit eben auch; nur so konnte eine stärkere Politisierung
der (vor allem jungen) Arbeitnehmerschaft entstehen, die in eine Phase des
sozialen Ausgleichs mündete. Das setzte damals eine politische Unzufriedenheit
voraus... und ohne mir etwas vormachen zu wollen, eine solche Unzufriedenheit
wäre heute auch angebracht; allerdings muss diese Unzufriedenheit in öffentlichen
politischen Debatten auch thematisiert werden. Auch an Protagonisten dafür
fehlt es sicher nicht, wir müssen ihnen Gehör verschaffen.
Und wenn es richtig ist, dass –
wie weiter oben zu lesen ist – "Politische Partizipation aber zeitintensiv
und voraussetzungsreich ist", dann bedeutet das, dass die Voraussetzungen,
z.B. mit einer politischen Bildung (welche diese Bezeichnung auch verdient),
geschaffen werden. Wenn aber in Elternbeiräten an den Schulen schon nur noch
Vertreter des Bürgertums vertreten sind, wird sich da kein Druck aufbauen
(lassen). Es ist keinesfalls unanständig "nur" ein Arbeiter zu sein...
im Gegenteil, keine Gesellschaft kann auf sie verzichten, weil nur Arbeit
irgendeinen Wert erzeugt. Dementsprechend selbstbewusst sollten die Arbeitenden
sein und fordern, wozu sie zuallererst irgendein Recht haben: Mindestens eine
gerechte Teilhabe an ihren Arbeitsergebnissen und die Mitbestimmung über die
Verwendung der von ihnen erarbeiteten Werten.
In anderem Zusammenhang schon,
habe ich Jean-Jacques Rousseau hochleben lassen und möchte noch einmal das oben
genutzte Zitat bemühen: Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die
Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit. Wenn wir diesem
Grundsatz wieder Geltung verschaffen wollen, dann müssen wir den
Freiheitsbegriff neu diskutieren... damit uns die Starken nicht fortwährend
vormachen können, dass ihre Freiheit und unsere Freiheit dasselbe wäre. Erst
dann können wir den unseligen Diskurs über noch mehr Deregulierung beenden und die
unmoralische Haltung der Vorteilsnahme um jeden Preis brechen, indem wir der Rechtstaatlichkeit
wieder Geltung verschaffen.
Schlussbemerkungen
Moral an sich ist weder schlecht
noch gut… sie ist für das Zusammenleben in einer Zivilgesellschaft einfach
erforderlich. Aus gegebenen Anlässen – also weil über moralische Kategorien in
der letzten Zeit häufig im Zusammenhang mit den gestiegenen Rohstoffpreisen,
den Preisen für Energie oder der Finanzmarktkrise die Rede war – fällt uns
jedoch die dunkle Seite des Begriffes Moral zuerst ein; und ich meine völlig
zurecht. Leider richtet sich die berechtigte Kritik aber nicht auf die
wirklichen Ursachen, wenn z.B. durch Spekulation an der Börse Lebensmittel- und
Energiepreise immens hoch gejubelt werden oder ganze Volkswirtschaften in
Gefahr geraten, wie aktuell durch die us-amerikanischen Immobilenkrise, sondern
die Kritik verharrt bei den Protagonisten der Spekulation: den Spekulanten.
Schon werden Stimmen laut, dass
man diesem „elenden Gesocks“ an besten das Handwerk legen sollte; neulich las
ich im Kontext mit der sog. Hungerrevolte in Haiti sogar den Satz „Spekulanten
sind Mörder“. Das sei deshalb richtig, da sie schließlich durch
Warentermingeschäfte mit Lebensmitteln, die Preise für Lebensmittel in
astronomische Höhen getrieben und die sog. Entwicklungsländer dadurch an den
Rand des Zusammenbruchs gebracht hätten und weil durch dieses Tun der
Spekulanten sogar Menschen verhungert wären. Vom „Gipfel der Unmenschlichkeit“
ist da die Rede, weil die Deutschen Banken auch noch dafür würben, auf
steigende Lebensmittelpreise zu spekulieren. Diesem mörderischen Treiben der
Spekulanten, hieß es da, müsse endlich ein Ende gesetzt werden.
Da hat wohl jemand nicht
gründlich nachdenken können… oder nicht gründlich nachdenken wollen. Oder hat
gründlich genug nachgedacht, verschweigt aber lieber das Ergebnis und bietet stattdessen
ein Bauernopfer oder einen Sündenbock an: Eben die Spekulanten. Aber die Spekulanten
sind nicht die personifizierte Böswilligkeit und die Börse ist nicht einem unmenschlich
wucherndes Krebsgeschwür gleich, das ein an sich gutes marktwirtschaftliches Dasein
überwuchert und das man, wie eben ein solches Geschwür, einfach abschneiden
oder entfernen könnte, und alles wäre wieder im Lot. Ohne das Tun der
Spekulanten rechtfertigen zu wollen, wie hätten sie sich in diesem System bitteschön
anders verhalten sollen?
Wahrscheinlich ist der oben
zitierte Redner durchaus auf den richtigen Gedanken gekommen, und ist sich über
die Konsequenzen auch im Klaren: Spekulation ist nie schlimmer als der Markt,
dem sie dient. Sie ist nicht seine Ursache, sondern eine seiner Folgen. Die
Spekulation ist keine Erfindung der Spekulanten, sie bedient sich ihrer
lediglich. Die Börsianer sind nur die etwas durchgeknallten Rationalisten der
großen Irrationalität des Kapitals. Nicht umgekehrt! Wer also die Spekulation
zerstören will, muss auch den Kapitalismus abschaffen wollen, oder es wird
vergebliches Bemühen sein. Will man sich aber nur an die Sündenböcke halten,
dann ist der aktuelle Kampf gegen die Spekulation nur eine Schutzimpfung für
das Kapital, ganz ähnlich wie das ausschließliche Führen von Wertedebatten,
weil es sich unempfindlicher für wirkliche wirksame Attacken machen kann.
Der sich nur dort kratzt, wo es ihn selbst juckt
Wilfried John
Anmerkungen:
Der anfangs angesprochene Artikel erschien im Forum „An den
Pranger gestellt“ unter dem Titel „Finanzkrise in den USA – „Bankensterben“ und
Staat als Retter“ von hub wenzl
Mein Artikel stützt sich zum Teil auf eine Arbeit von Martin
Schürz für die Friedrich Ebert Stiftung
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