Zwei Kugeln in jeden Kopf – Über das internationale Waffengeschäft


Zwei Kugeln in jeden Kopf – Über das internationale Waffengeschäft

Rüstung tötet auch im Frieden


Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Paul Celan



„Rüstung tötet auch im Frieden“, stand auf meinem Schild, das ich alljährlich mit nach Ramstein brachte. Belacht, verspottet und beschimpft von hunderttausend Besuchern der Flugschau, die an mir vorbeizogen, um sich die Killermaschinen anzuschauen und den Militärs zu huldigen. Letztlich hat sich ja, auf schauderhafte Weise, gezeigt wie recht ich doch hatte.

Aber wer da glaubt, dass mit meinem Slogan lediglich solche beklagenswerten und tragischen Desaster gemeint gewesen seien, der irrt. Dieser Satz steht auch für die Diskrepanz zwischen „unserem“ relativen Frieden und dem was weltweit zur gleichen Zeit geschieht. Stellvertreterkriege, sog. Bürgerkriege und das Geschäft von Söldnern und bewaffneter Banden: Täglich fordern Waffenlieferungen ihre Opfer. Wo es viel Waffen und Munition gibt, werden Konflikte und Bürgerkriege angeheizt. Bewaffnete Banden terrorisieren die Bevölkerung, Menschen – vor allem Kinder – werden durch Minen verstümmelt; etc.

Schlimmer noch (wenn das vorstellbar ist): Waffenexporte tragen weltweit dazu bei, dass Menschenrechte verletzt werden. Exemplarisch sei das afrikanische Land Demokratische Republik Kongo erwähnt: Das scheinbar sinnlose Töten, das Ausrotten ganzer Dörfer im Osten des Kongo begann vor über 25 Jahren, mit dem Genozid in Ruanda. Seitdem terrorisieren Milizen der Tutsi und Hutu, marodierende Banden und eine Armee, die keiner wirklich kontrolliert, das Land. Tausende notdürftig verscharrte Leichen in Massengräbern, verstümmelte Kinder, die das Lachen verlernt haben, vergewaltigte Frauen mit leerem Blick, zehntausende Menschen, die auf der Flucht mit nichts als ihrem nackten Leben die Straßen entlang hasten, verlassene, ausgebrannte Dörfer und betrunkene, johlende Männer, Jugendliche und Kinder mit Gewehren – das sind die Bilder, die den Ostkongo prägen.

Mit der Waffe in der Hand kann jeder Mann seine materiellen Bedürfnisse, seine sexuellen Gelüste befriedigen, so abartig sie auch sein mögen. Also Frauen und Mädchen vergewaltigen. Und das alles straffrei. Die Waffe sichert ihm in gewisser Hinsicht Immunität. “Hier herrscht absolute Rechtlosigkeit. Jeder bewaffnete Mann, gleich welcher Partei, fühlt sich berechtigt, alles in Besitz zu nehmen, was ihm begegnet”, ergänzt Augustin Augier von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, “niemand ist sich seiner Haut sicher. Es gab bisher über fünf Millionen Tote.”



Die Täter, Söldner der sog. Rebellengruppen (die in Wahrheit nichts anderes sind als Statthalter internationaler Rohstoff-Firmen) ebenso wie Angehörige der Regierungsarmee (die in Wahrheit nichts anderes sind als korrupte Statthalter eines noch korrupteren Despoten) und Zivilisten, vergreifen sich dabei offenbar zunehmend auch an immer jüngeren Kindern. Dominic Johnson, Kongo-Korrespondent der taz, berichtete: „In den Krankenhäusern der Städte Goma und Bukavu ist das Elend zu sehen: Frauen und Mädchen mit zerfetzten Unterleibern und anderen brutalsten Vergewaltigungswunden.“ Die Kampfparteien setzen die „physische und psychische Zerstörung von Frauen systematisch als Mittel der Kriegsführung ein“. Viele Frauen würden nach einer Vergewaltigung von ihren Familien verstoßen, ebenso wie die durch Vergewaltigung gezeugten Kinder.

Seit 25 Jahren kommt es regelmäßig es zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen Regierungsarmee und sog. Rebellengruppen, vor allem mit den ruandischen Hutu-Milizen und der Organisation des kongolesischen Exgenerals Laurent Nkunda, die die östlichen Provinzen Nord- und Südkivu faktisch besetzt halten. Es handelt sich um das Gebiet, in dem jene Bodenschätze lagern, die den Kongo zu einem der reichsten Länder der Welt machen KÖNNTEN – wenn diese Bodenschätze nicht von nichtstaatlichen Gruppen an westliche Firmen und Handelsunternehmen zum eigenen Vorteil verscherbelt würden. Mit einem Teil des Geldes werden neue Waffen beschafft. Hier in dieser Gegend liegen auch die Ziele der Regierungen, für die der Waffenhandel also nur ein Mittel zum Zweck ist.



Die beklagenswerten Zustände sind also ein direktes Ergebnis von Waffenexporten, die in der allgemeinen Wahrnehmung eher eine untergeordnete Rolle spielen. Waffenexporte sind nämlich nicht nur das, was man sich gemeinhin darunter vorstellt: Lieferungen von Schiffen, Panzern und Kampfflugzeugen oder anderen Großwaffen, die in zwischenstaatlichen Kriegen benutzt werden. Gerade die Lieferungen von Kleinwaffen und Munition verschärfen bestehende Konflikte, zum Beispiel zwischen aufständischen Gruppen und Militärs. Schusswaffen fördern Gewalt unter der Bevölkerung, sie gefährden Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit (insofern das Kriterien sind, die in den Ländern z.B. Afrikas fest verankert sind).

Ursachen und Wirkung

Für die Zerstörung der Gesellschaft der DR Kongo (und vieler anderer Länder) sind Regierungen und Konzerne aus den Industriestaaten durch ihre fortgesetzte Kooperation mit dubiosen Geschäftspartnern oder dem Machthaber direkt mitverantwortlich; unter anderem auch die BRD, die den Diktator Kabila direkt (sogar mit Soldaten) unterstützt hat. Am 20. März 2006 trafen sich auf Einladung des deutschen Verteidigungsministeriums Vertreter der militärischen Führungsstäbe aus 8 EU-Staaten, um einen gemeinsamen militärischen Einmarsch im Kongo festzuklopfen. Der Grund dafür sollte sein, dass auf „Bitte“ der UNO unter deutscher Führung die „ersten demokratischen Wahlen seit 45 Jahren“ am 18.Juni 2006 abgesichert werden.

Wenn es hier wirklich um demokratische Rechte der kongolesischen Bevölkerung gegangen wäre, stellt sich die Frage, warum der Einsatz mit Einverständnis des mit diktatorischen Methoden regierenden Präsidenten Joseph Kabila stattfand. Es ist schon ein Hohn, dass ausgerechnet die deutsche Bundesregierung an der Spitze des Militäreinsatzes für „Stabilität und Demokratie“ stand, die völlig „undemokratisch“ im sog. Bundessicherheitsrat über Rüstungsexporte entscheidet, mit denen weltweit die Stabilität ganzer Länder beschädigt werden.

Oder wollte man da vielleicht gar nicht die Durchführung von Wahlen schützen? Vielleicht ging es ja darum sich den Despoten dienstbar zu machen, indem man ihn an der Macht hielt? Es sind gerade internationale Konzerne, wie Bayer und Siemens, die seit Jahren an der Spitze der Ausplünderung der Rohstoffe des Kongo stehen. Denn der Kongo besitzt unter anderem 80% der weltweiten Coltan-Reserven, welches für die Handy-Produktion benötigt wird. Es ging also darum, die bestehende korrupte Machtstruktur im Kongo, die den transnationalen Konzernen einen preiswerten Zugriff auf die reichhaltigen Ressourcen des Landes sichert, mittels der Wahlen zu konservieren und vor allem zu legitimieren.

Das kann man auch im neuen Bundeswehrweißbuch nachlesen, das von Kriegs-… Verzeihung… vom Verteidigungsminister Jung vorgelegt wurde: „Vorrangige Interessen deutscher Sicherheitspolitik bestehen darin, die europäische sowie transatlantische Sicherheit und Stabilität zu stärken, den Wohlstand des Landes durch einen freien und ungehinderten Welthandel zu ermöglichen“ und „hierbei gilt es wegen der Export- und Rohstoffabhängigkeit Deutschlands, sich besonders den Regionen, in denen kritische Rohstoffe und Energieträger gefördert werden, zuzuwenden.“ Und noch etwas ganz anderes wird „geschützt“, nämlich die heimische Waffenindustrie. Denn Deutschland ist drittgrößter Waffenexporteur der Erde.

Tod und Verstümmelung als Big Business

Rund eine Milliarde Euro mehr als im Vorjahr – das deutsche Rüstungsgeschäft boomt. Weil hierzulande kaum jemand darüber sprechen möchte, tun es die Kirchen. Die deutschen Rüstungsexporte stiegen nach Angaben der Kirchen weiter an. Die Regierung habe 2007 Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter im Wert von 8,7 Milliarden Euro erteilt, 2006 seien es 7,7 Milliarden Euro gewesen, berichteten die Vorsitzenden der „Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung“ (GKKE), die Prälaten Stephan Reimers und Karl Jüsten. Deutschland sei weiter drittgrößter Rüstungsexporteur – nach den USA und Russland (vor GB und F), hieß es unter Bezug auf das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri. Reimers: „Die Welt wird nicht sicherer mit noch mehr Waffen.“



Bei den Zahlen zu den deutschen Rüstungsexport-Genehmigungen beruft sich die Organisation auf Angaben, welche die Regierung dem Deutschen Bundestag und der Europäischen Union gemacht hat. Das zuständige Bundeswirtschaftsministerium äußerte sich auf Anfrage zunächst nicht. Die GKKE beklagte, die Regierung informiere die Bürger nur schleppend. Sie hätte längst einen eigenen Bericht vorlegen müssen. Der Bundestag wiederum komme seiner Kontrollfunktion nicht nach. Seit vier Jahren habe das Parlament nicht mehr über die Rüstungsexportberichte beraten.

Die Kirchen-Konferenz legte zum zwölften Mal einen eigenen Rüstungsexportbericht vor. Jüsten sagte: „Wir hatten gehofft, dass wir das nicht mehr machen müssen. Aber einer muss ja Opposition betreiben. In diesem Fall sind es die Kirchen.“ Sie kritisierten die Genehmigungen für Rüstungsexporte in Länder mit schweren Gewaltkonflikten, darunter Indien und Pakistan und… Kongo. Das widerspreche den politischen Richtlinien der Bundesregierung selbst. Höchst kritisch seien auch die Lieferungen an Entwicklungsländer. 24 Prozent aller Einzelausfuhr-Genehmigungen seien an Staaten gegangen, die als Empfänger von deutscher Entwicklungshilfe eingestuft seien. So wird also Steuergeld in die Kassen der Rüstungsproduzenten umgeleitet.

Unterstützt wird die GKKE in ihren Recherchen etwa von der hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung mit dem Experten für Rüstungsexporte, Bernhard Moltmann. Er nannte als Lieferanten von Waffen, Gerät und Munition die Howaldtswerke-Deutsche Werft GmbH (HDW), den Werftenverbund ThyssenKrupp Marine Systems, Krauss-Maffei Wegmann, Rheinmetall AG und EADS. Er betonte, das seien nur die großen Firmen. Hinzu kämen viele kleine und mittelständische Betriebe wie Häckler & Koch. Und das ist das große Problem: Fast unbemerkt steigt die Ausfuhr kleiner und leichter Waffen sowie die dazugehörige Munition.

Deutschland liefert – Moltmann zufolge – auch immer mehr Waffen für internationale Friedensmissionen; z.B. an die Afrikanische Union (AU) – siehe auch mein Artikel. „Ignoranten und Lügner, Diktatoren und Ganoven – Über die Konferenz der Afrikanische Union“. Es stelle sich aber die Frage: Bleiben die Waffen da, wohin sie geliefert wurden? In dem Bericht der GKKE heißt es, nach der Baubranche sei der Rüstungssektor der Wirtschaftszweig mit den häufigsten Fällen von Bestechung – begünstigt durch Faktoren wie die Geheimhaltung von Rüstungstransfers.

Hier kommt der Bundessicherheitsrat zu trauriger Prominenz und auf meine Nachfrage, konnte kaum jemand der Befragten mit dem Begriff überhaupt etwas anfangen. Der Bundessicherheitsrat ist in Deutschland ein Ausschuss der Bundesregierung. Seine Sitzungen, die von der Bundeskanzlerin geleitet werden, sind geheim. Der Rat koordiniert die sog. Sicherheits- und Verteidigungspolitik (siehe oben genanntes Weißbuch der Bundeswehr) der Bundesregierung und ist auch für die Rüstungsexporte der Bundesrepublik zuständig.

Der Bundessicherheitsrat der auf einen Kabinettsbeschluss von 1955 zurückgeht hat neun Mitglieder: Die Kanzlerin Merkel, der Chef des Bundeskanzleramts (Koordinator der Geheimdienste) De Maiziere, der Bundesminister des Äußeren F.W. Steinmeier, der Finanzminister Steinbrück, der Innenminister Schäuble, die Justizministerin Zypris, der Wirtschaftsminister Freiherr zu Guttenberg und sogar die Ministerin für Wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung Wieczorek-Zeul. Die Beschlüsse der Beratungen sind streng vertraulich und absolut endgültig, soweit sie keiner Zustimmung (z.B. Auslandseinsätze der Bundeswehr) der Bundesregierung oder des Bundestages bedürfen.

Wie da kontrolliert oder nicht kontrolliert wird und warum die Frage danach, ob die Waffen dort bleiben wohin sie geliefert wurden mit Nein zu beantworten ist, zeigen etwa die Bilder einer georgischen Spezialeinheit in Südossetien, während des Georgien/Russland-Konflikts 2008 – bewaffnet mit dem Sturmgewehr G36 des deutschen Rüstungskonzerns Häckler & Koch. Wie die Waffen, die eigentlich nur in Nato-Staaten verkauft werden dürfen, in den Kaukasus kommen, ist bislang unklar. Die GKKE wertet diesen Vorgang als Hinweis darauf, dass die Regelungen, die einen gesicherten Endverbleib von Waffen und Rüstungsgütern gewährleisten sollen, nicht effizient sind. Sie warnt vor der Gefahr, dass sich das G36-Gewehr ähnlich unkontrolliert verbreitet wie einst das G3-Gewehr, das heute auf vielen Kriegsschauplätzen verwendet wird. "Exporte von Schiffen und Panzern beherrschen Statistiken und Debatten", sagt Bernhard Moltmann "doch unbemerkt steigt die Ausfuhr von kleinen und leichten Waffen". Dabei habe gerade die deutsche Regierung versprochen, die Verbreitung der Kleinwaffen einzudämmen.

Offiziell wirbt die Bundesregierung für die Einhaltung des EU-Verhaltenskodexes (als wenn solche Verlautbarungen je das Papier wert gewesen wären, auf dem sie gedruckt sind – zu einem Gesetz konnte man sich allerdings nicht durchringen), wonach Kriegsgerät nicht in Konfliktregionen und an Diktaturen geliefert werden soll. Die Praxis sieht aber oft anders aus: 49 Staaten, in denen die Menschenrechte als bedroht gelten, erhielten ebenso Waffen wie jene 28 Länder, in denen es innere oder grenzüberschreitende Konflikte gibt, die mit Gewalt ausgetragen werden  Afghanistan und Indien, Kongo, Nigeria, Israel und der übrige Nahe und Mittlere Osten.

Ohnehin haben unter den rüstungsexportierenden Staaten die EU-Mitgliedsstaaten, allen voran Frankreich, Deutschland, Italien und Großbritannien, in der Summe bereits Russland in den Schatten gestellt. Der Stellenwert europäischer Lieferstaaten stützt sich einerseits auf die Leistungsfähigkeit europäischer Rüstungskooperation. Andererseits gewinnen sie Kunden in Drittstaaten mit attraktiven Finanzierungsbedingungen und der Zusage des Technologietransfers Hinzu kommen die Bereitschaft, Fertigungen (z.B. für Munition) in Empfängerländer zu verlegen, oder begleitende zivile Investitionszusagen.

Die Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter haben 2019 einen neuen Rekordwert erreicht. Bis zum 15. Dezember bewilligte die Bundesregierung Waffenausfuhren im Gesamtwert von rund 7,95 Milliarden Euro. Damit wurde die bisherige Höchstmarke aus dem Jahr 2015 übertroffen. Die erteilten Ausfuhrgenehmigungen zeugen von der Fortsetzung einer gelockerten Genehmigungspraxis, wie sie die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) schon in den Vorjahren kritisiert hat. Dafür spricht auch, dass die Zahl der Staaten als Empfänger deutscher Rüstungslieferungen erneut zugenommen hat, die unter Gesichtspunkten des EU-Verhaltenskodexes als "kritisch" einzustufen sind, weil sie dessen Kriterien nicht oder nur bedingt genügen.... soviel zu diesem oben genannten Kodex.

Wer liefert und wer die Waffen bezahlt

Um noch einmal das erwähnte Beispiel des Kongo exemplarisch zu zeigen: Für die Erlöse der Minen, in denen selbst Kinder unter sklavenähnlichen Bedingungen schuften, liefern skrupellose Waffenschieber Gewehre und Munition auf Bestellung und oft genug im Auftrag von Regierungen. Die Waffen wiederum ermöglichen es den Milizen, die Kontrolle über die Minen zu halten. Ein teuflischer Kreislauf. Die Hehler stammen meist aus Russland oder aus der Ukraine. Die Ware kommt zwar oft aus alten Sowjetdepots. In vielen Fällen führt die Spur aber auch zu den großen Herstellern, die auf offiziellen Waffenmessen ihre neusten Entwicklungen feilbieten; etwa auf dem sog. „Jahrmarkt der Waffenhändler“ in Paris. Dort präsentieren die Waffenfabriken aus China, Russland, USA, Deutschland und anderen Ländern ihre Neuentwicklungen und bieten sie feil. Keiner kennt genau die Stückzahlen der Gewehre und Handfeuerwaffen, die dort gekauft und mit "geheimen Deals" in die Bürgerkriegs-Regionen verkauft werden.



Die Zwischenhändler – wie der Franzose Jean de Tonquedec – geben offen zu, im Auftrag ihrer Regierung zu liefern. “Das läuft ‘cash and carry’. Man muss sofort bezahlen, um an die Ware zu kommen”, beschreibt de Tonquedec die geheimen Deals, “Deshalb sind Zwischenhändler so wichtig.” Mit ihren Flugzeugen fliegen sie wahre Irrwege über den halben Planeten, um die Spuren ihrer dunklen Geschäfte zu verschleiern. Sie transportieren auch harmlose Waren für Regierungen und Hilfsorganisationen, um einen sauberen Leumund aufzubauen. Allein die Seriennummern sichergestellter Gewehre im Kongo beweisen, wer wann woher geliefert hat. Einer der berüchtigten Waffenschieber, der ehemalige sowjetische Geheimdienstler Viktor Bout, konnte am 6. März 2008 im Rahmen einer internationalen Polizeiaktion in Thailand geschnappt werden. Doch ob und wo ihm für seine kriminellen Machenschaften der Prozess gemacht wird, bleibt abzuwarten. Und ob er je verurteilt wird?

Für jede zerstörte Waffe werden zehn neue produziert

Am 9. Juli 2004 fand der fünfte „Internationalen Tag für die Vernichtung von Waffen“ statt. 2004 waren weltweit rund 640 Millionen Schusswaffen in Umlauf; damit kommt auf zehn Menschen eine Waffe. Jedes Jahr werden hunderttausende Menschen Opfer von illegalen Schusswaffen getötet. Millionen von Männern, Frauen und Kindern leben in ständiger Angst vor bewaffneter Gewalt. Dennoch sind rund 1249 Firmen in über 90 Ländern an der Produktion von Kleinwaffen und leichten Waffen
beteiligt.

Diese aufrüttelnde Bilanz legten die Organisatoren der Kampagne “Waffen unter Kontrolle!” zum Internationalen Tag für die Vernichtung von Waffen vor und es steht zu befürchten, dass es eher mehr statt weniger geworden sind. Denn die meisten Staaten verkaufen alte und nicht mehr benötigte Waffen, statt sie zu vernichten. Nur drei Länder - Nigeria, Litauen und Südafrika - verfolgen eine Politik der systematischen Vernichtung aller überschüssigen oder konfiszierten Waffen. Jedes Jahr werden rund eine Million Waffen, aus zivilem Besitz, gestohlen oder gehen verloren.

Weitere erschütternde Zahlen, die im Zusammenhang mit diesem „Internationalen Tag“ bekannt gegeben wurden. Die Zahlen beruhen auf den Angaben des Small Arms Survey 2004 des Forschungsprojekts “Small Arms Survey” am Genfer Graduate Institute of International Studies ( http://www.smallarmssurvey.org )

Den 800.000 Waffen, die jährlich vernichtet werden, steht das Zehnfache an neu produzierten Waffen gegenüber. Amnesty International, Oxfam und das Internationale Aktionsnetzwerk zu Kleinwaffen IANSA fordern deshalb ein rechtlich verbindliches internationales Abkommen, das alle Rüstungstransfers strikt kontrolliert und völker- und menschenrechtsverletzende Waffengeschäfte verbietet. Das Abkommen sollte bis zum Jahr 2006 zustande kommen, ist aber bis zum heutigen
Tag noch überfällig.

USA verhindern Abkommen

Ein weltweites Abkommen, das die strafrechtliche Verfolgung von Zwischenhändlern zulässt, ist bei den Vereinten Nationen erst in Arbeit. Arbeitsgruppen haben erst begonnen, darüber zu beraten. “Bis ein solcher Vertrag umgesetzt ist, dürften noch mindestens 20 Jahre vergehen”, sagt Gerd Hankel vom Hamburger Institut für Sozialforschung, “im Moment ist ein solches Abkommen noch eine Utopie.” Denn die USA haben bereits klipp und klar gesagt, dass sie die Unterschrift verweigern. Der ehemalige Botschafter der USA bei den UN machte unmissverständlich klar, was die Amerikaner nicht zulassen werden: “Wir unterstützen keine Maßnahmen, die den legalen Handel und die legale Herstellung von Kleinwaffen einschränken. Wir unterstützen keine Maßnahmen, die Zivilisten den Besitz von Kleinwaffen untersagen. Wir unterstützen keine Maßnahmen, die den Handel mit Klein- und Leichtwaffen einschränken.” Das ist der blanke Zynismus, der auf der einen Seite lautstark ein Waffenembargo für die Kongoregion fordern, während er andererseits Konventionen bei den UN in New York verhindert.

Ein Standpunkt, der für Zyniker nachvollziehbar ist. Denn es geht um Bodenschätze, es geht um Macht und es geht darum, dass die Fließbänder in den eigenen Waffenfabriken laufen. Doch die Amerikaner stehen nicht allein da: auch Russen, Chinesen und all die anderen sind an deren Seite: “Gerade die Chinesen. Von denen wissen wir, dass in deren Außen- und Militärpolitik solche Begriffe wie Moral oder Ethik keine große Rolle spielen”, sagt Hankel. Aber auch für westliche Staaten scheinen diese Begriffe – trotz gegenteiliger Verlautbarungen – nur leere Worthülsen zu sein. Gerade die USA bewiesen das einmal mehr beim Osloer Abkommen zum Verzicht auf Streumunition. Als wichtigster Hersteller und Nutzer dieser Munition, hat die USA die Unterzeichnung verweigert.

Forderungen

Wir brauchen das Selbstbestimmungsrecht der Völker und ihr vollständiges Recht selbst über die Bodenschätze ihres Landes zu verfügen (siehe auch meinen Artikel „Ein anderer Hoffnungsträger – Die neue Verfassung des Evo Morales“). Wegen all des, oben beschriebenen, Leids, muss die Lieferung von Rüstungsgütern vermindert oder gestoppt werden; das gilt besonders für die kleinen und leichten Waffen sowie die dazugehörige Munition.

Für den Rüstungsexport braucht es global wirksame Kontrollen, in denen menschenrechtliche Kriterien zur Geltung kommen. Amnesty International kämpft seit über 25 Jahren gegen den unkontrollierten Transfer von Rüstungsgütern. Für Deutschland fordern wir, dass die Rüstungsexportgesetze eine verbindliche Menschenrechtsklausel erhalten. Zudem muss das Parlament bei Entscheidungen über Waffenexporte einbezogen und mehr Transparenz bei Rüstungstransfers geschaffen werden.



Die Bundesregierung muss sich für das weltweite Abkommen, das die strafrechtliche Verfolgung von Zwischenhändlern zulässt und bei den Vereinten Nationen in Arbeit ist, stark machen und wenigstens den Versuch unternehmen, den Bündnispartner USA davon zu überzeugen, dass sie die rigorose Ablehnungshaltung aufgibt.

Auf EU-Ebene sollte schnellstmöglich aus dem eher unverbindlichen EU-Verhaltenskodex über die Rüstungsexporte, eine verbindliche Richtlinie werden. Die Bundesregierung, die nicht ohne jeden Einfluss ist, sollte mit gutem Beispiel vorangehen und eine Initiative dafür starten.

In ihren heute noch gültigen Rüstungsexportrichtlinien vom 19. Januar 2000 hat sich die Bundesregierung selbst verpflichtet, bei der Genehmigung von Waffenverkäufen die "Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland" zu beachten. Diese gute Absicht ist nie eingelöst worden. Insofern muss man als Minimalforderung die
Einhaltung der eigenen Bestimmungen fordern.

Schlusswort

700 Millionen Feuerwaffen sind weltweit im Umlauf, jedes Jahr werden 14 Milliarden Schuss Munition hergestellt – zwei Kugeln für jeden Menschen. Kein Wunder, wenn im Kongo und anderswo jeden Tag Kinder ihre Eltern verlieren, bei den Milizen ihre neue „Familie“ finden und lernen, wie viel Macht ein Gewehr verleiht. Morden wird zu ihrem Alltag – mehr bringt ihnen keiner bei. Und wir machen uns in unserem Schweigen schuldig am Leid dieser Kindersoldaten.



Die Partei Die Linke ist die einzige Partei im Deutschen Bundestag, die damals den Bundeswehreinsatz im Kongo geschlossen ablehnte; ein ebensolches Abstimmungsverhalten zeigt die Fraktion auch bei anderen sog. Auslandseinsätzen, wie z.B. jüngst bei der Piratenjagd vor Somalia. Es gilt die Ursachen zu bekämpfen und nicht diejenigen zu verfolgen, die selbst Opfer sind. Deutschland mit seinen Möglichkeiten und seinem Know-How könnte wirklich friedfertige Missionen zustande bringen, doch es fehlt an den politischen Mehrheiten.

Ich werbe dafür, dass wir bei den bevorstehenden Wahlen zum EU-Parlament und zum Deutschen Bundestag die politischen Kräfte stärken sollten, denen das Leid der Menschen nicht vor wirtschaftlichen Interessen geht und die – bisher jedenfalls – immer im Sinne der Friedfertigkeit entschieden haben. Für jene Leute, die immer schnell mit dem Arbeitsplatz-Totschlags-Argument bei der Hand sind: Schlagt doch mal im Lexikon den Begriff „Konversion“ nach.

Wilfried John

Eine Sammlung von Fakten über Kongo und politisch unzensierte Artikel finden Sie unter: http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden...ngo/henken2.html

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