Wer E sagt, muss auch U sagen – Über die Verträge von Lissabon Teil IV: Irlands zweites Referendum


Wer E sagt, muss auch U sagen – Über die Verträge von Lissabon

Teil IV: Irlands zweites Referendum





Auf die Füße kommt unsere Welt erst wieder, wenn sie sich beibringen
lässt, dass ihr Heil nicht in neuen Maßnahmen, sondern in neuen
Gesinnungen besteht.
Albert Schweitzer




Irland ist das einzige EU-Land, in dem die Bevölkerung über die Verträge von Lissabon abstimmen darf. Im vergangenen Jahr hatte die Mehrheit der Iren ihr verfassungsmäßiges Recht dazu wahrgenommen, das Abkommen abzulehnen und den Ratifikationsprozess damit zu stoppen. Im vergangenen Jahr hatten die Wähler ihre Ablehnung angesichts der ersten Rezession seit 25 Jahren in Irland mit dem neoliberalen Charakter des Lissabon-Vertrags begründet. Am gestrigen Freitag hätten die Iren ihren sprichwörtlichen Stolz sprechen lassen können und zweite Befragung nochmals mit „no“ beantworten können.

Die »Ja«-Kampagne hatte noch einmal Prominenz aufgeboten: Topregisseur Jim Sheridan meinte, es wäre »verrückt«, gegen den Lissabon-Vertrag zu stimmen. Oscar-Preisträger Neil Jordan erklärte, die EU habe der Insel viel Nutzen gebracht. Und auch der Chef des Billigfliegers Ryanair, Michael O'Leary, warb für Zustimmung – »Irland braucht Europa«. Am Mittwoch legte Premier Brian Cowen in Dublin selbst noch einmal nach: Ein Nein werde Hoffnungen auf ein Ende der Rezession in Irland begraben und die EU in große Ungewissheit stürzen.

Dahin war sie nach der Ablehnung des Reformpakets im Juni vergangenen Jahres – 53,4 Prozent der irischen Bevölkerung hatten das Lissaboner Dokument abgelehnt – bereits geraten. Die Rückweisung des im Dezember 2007 in der portugiesischen Hauptstadt geschlossenen Vertrags hatte in Brüssel und bei den Regierungen hektische Betriebsamkeit ausgelöst, um »Lissabon« doch noch in Kraft zu setzen. Laut Schlussbestimmungen sollte der Vertrag am 1. Januar 2009 in Kraft treten – wenn alle Ratifikationsurkunden hinterlegt worden wären.

Inzwischen ging man davon aus, dass die Ratifizierung bei einer Zustimmung in Irland – in Polen und Tschechien wartet man diese Entscheidung ab – bis Jahresende in ganz Europa abgeschlossen sein könnte. Ein Ja zu »Lissabon«, für das mit Ausnahme der linksorientierten Sinn Féin alle Parlamentsparteien warben, gilt als wahrscheinlich. Letzten Umfragen zufolge wollen 55 Prozent der Iren für den Vertrag stimmen. Paradoxerweise ist es nun wieder die Krise, die Irland besonders heftig traf und einem Ja zum Durchbruch verhalf. Irland ist als Musterknabe neoliberaler Politik besonders hart von den Finanzjongleuren gebeutelt und hart angeschlagen, die Arbeitslosigkeit steigt, der Konsum sinkt. Für dieses Jahr erwartet die Cowen-Regierung mit einem Staatsdefizit von 9,5 Prozent den höchsten Fehlbetrag aller EU-Staaten. Vielen Iren erscheint die EU nun als letzter Strohhalm.

Obwohl es in den Verträgen eine Reihe administrativer Verbesserungen für die Arbeitsweise der EU gibt, bleibt die Weichenstellung in Richtung einer Militarisierung (»Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern«) ebenso erhalten wie die Fixierung auf den ungebändigten Markt. In den entscheidenden Ausführungsbestimmungen wird die »offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb« zum Ziel europäischer Wirtschaftspolitik erklärt. Der Multimillionär Declan Ganley, der mit seiner europakritischen Partei Libertas zu den Wortführern der Nein-Kampagne 2008 gehörte, warnte denn auch kurz vor dem heutigen Referendum seine Landsleute vor Illusionen: Der Vertrag von Lissabon schaffe keinen einzigen Arbeitsplatz.

Doch Brüssel legte mit Zugeständnissen in anderen Fragen den Iren die Köder aus. Der Sorge der Iren um eine eigenständige Außenpolitik, der Furcht vor einem gelockerten Abtreibungsrecht und dem Verlust eines irischen Kommissarspostens in Brüssel kam man mit Ausnahmeregelungen entgegen. An den Kernpunkten von »Lissabon« änderte das zwar nichts, aber man brauchte schließlich einen Grund für
eine zweite Abstimmung.

Alles deutet auf ein „Yes“ hin

In Irland hat am Samstag um 10 Uhr (MESZ) die Auszählung der Stimmen für das Referendum zum EU-Vertrag von Lissabon begonnen. In der Nacht hatten inoffizielle Prognosen bereits eine Zustimmung für das Reformwerk der Europäischen Union signalisiert. Zudem hat am Samstagmorgen eine erste Hochrechungen ergeben, dass eine Mehrheit der Iren für den EU-Vertrag gestimmt hat. Der irische Außenminister Micheal Martin sagte am Samstag, der EU-Vertrag sei wahrscheinlich angenommen worden. „Ich freue mich für das Land - es sieht dieses Mal nach einem überzeugenden Sieg für die Ja-Seite aus“, sagte Martin am Samstag im irischen Radio. Gegner des EU-Vertrages räumten bereits ihre Niederlage ein: „Es sieht nach einem Ja aus“, sagte der Sprecher von Coir, einer Bürgerinitiative gegen den EU-Reformvertrag, am Samstag in Dublin.

Ein offizielles Ergebnis wird zwar aber erst am Nachmittag erwartet, aber nach einer Wählerbefragung der größten Oppositionspartei Fine Gael soll das Ja-Lager mit 60 Prozent die Nase vorne haben, berichteten irische Medien. Die Vertrags-Gegner kamen demnach auf 40 Prozent. Die Partei hatte während der Abstimmung am Freitag 1000 Menschen in 33 verschiedenen Wahllokalen befragt.

Eine sog. Historische Entscheidung

Ein Ja wäre eine große Erleichterung sowohl für die irische Regierung als auch für Europa, nachdem die Iren den Lissabon-Vertrag im Juni 2008 bei einem ersten Referendum abgeschmettert hatten. Die Wahlbeteiligung erreichte etwa das Niveau vom Vorjahr und lag nach Medienangaben bei mehr als 50 Prozent. In einigen Wahlkreisen lag sie auch deutlich über den 53,1 Prozent von 2008. Mehr als drei Millionen Wahlberechtigte waren am Freitag dazu aufgerufen, über die Zukunft der EU mit ihren 500 Millionen Einwohnern zu entscheiden.

Bei einem erneuten Nein der Iren gälte die EU-Reform als gescheitert. Der Vertrag soll die EU effektiver machen. Damit er in Kraft treten kann, ist die Zustimmung aller 27 Mitgliedsstaaten erforderlich. Vom irischen Votum hängt auch die noch ausstehende Ratifizierung in Tschechien und Polen ab Als ausschlaggebender Faktor bei der Wahl galt auch die Wirtschaftskrise, die Irland viel schwerer als andere Länder getroffen hat. Das Ja-Lager hofft darauf, dass durch die Krise die Zustimmung zur EU gewachsen ist. Der Anführer der Anti-Lissabon-Kampagne, Declan Ganley, räumte unterdessen eine Niederlage ein und sprach von einem "überzeugenden Sieg" für das Ja-Lager.

Schlusswort

Als überzeugter Europäer kann ich das Ergebnis der Abstimmung nur bedauern. Wie, höre ich jetzt fragen, kann man als überzeugter Europäer das Ergebnis bedauern? Nun, die Antwort ist: Ich bin von der GESAMTEN europäischen Idee überzeugt und nicht nur von den Themen, die in der Öffentlichkeit so wohlfeil dargeboten werden. Dazu gehören vor allem der Sozialstaatsgedanke und die Idee von Europa als Friedensprojekt. Beides ist in den Verträgen von Lissabon nicht explizit enthalten.

Auch wenn es Fortschritte bei der Demokratisierung der Europäischen Institutionen gibt, so gehen sie dennoch nicht weit genug und greifen im Machtzentrum – der EU-Kommission – fast gar nicht. Siehe auch den Punkt „Kritik“ im Teil III dieser Serie.

Nun muss ich wohl meine Hoffnung auf jene setzen, auf die ich sie nie setzen wollte: Auf Nationalisten. Vor allem in Polen ist die ablehnende Haltung gegen die Verträge ausgeprägt… jedoch aus anderen als den vorgenannten Gründen. Wie dem auch sei, ich wünsche mir ein einiges, demokratisches, soziales, friedfertiges Europa… eine Ablehnung der neoliberal geprägten Verträge von Lissabon böten die Chance, das Vertragswerk – mit den Erfahrungen der aktuellen Krise – neu zu gestalten.  

Wilfried John

Demnächst: Im Teil V geht es um die Haltung Tschechiens und Polens

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