Schweigen ist Gold - Maulkörbe wider die Meinungsfreiheit


Schweigen ist Gold - Maulkörbe wider die Meinungsfreiheit


“Pressefreiheit ist die Freiheit einiger weniger Verleger.”
Heinrich Böll

Meinungsfreiheit. Kaum ein anderes Wort – und die dahinterstehende Haltung – ist für ein demokratisches Gemeinwesen so wichtig, wie die Meinungsfreiheit und kaum ein anderes Datum als der 10.Mai, erscheint mir geeigneter, um – einmal mehr – über dieses Thema zu schreiben.

Nun, ich hätte ja auch am 23. April, am 1995 von der UNESCO ausgerufenen Internationalen Tag des Buches (dem Todestag von Shakespeare und Cervantes) über das Thema schreiben können, doch hierzulande ist schon seit 1947 der 10. Mai als Tag des Buches ein Gedenktag; aber (vielleicht aus guten Gründen?) ist dieser Tag in der öffentlichen Wahrnehmung nicht sonderlich bekannt.

Aber dieses Datum kennzeichnet einen Übergriff auf die Meinungsfreiheit, wie er in der Weltgeschichte zwar (leider) nicht einmalig ist, wie er allerdings sozusagen als Synonym – wie kaum ein anderer – für die Unterdrückung von Meinung steht: Am 10. Mai 1933 fanden im Nazi-Deutschland Bücherverbrennungen statt.

Das was man Freiheit und Demokratie nennt, basiert auf der Meinungs- und Gedankenfreiheit, also auf die Freiheit des geschriebenen oder gesprochenen Wortes. Dazu gehört – und ist damit untrennbar verbunden – eine demokratische Bildung, denn erst die Kulturtechniken des Lesens und Schreibens schaffen eine unabdingbare Voraussetzung, damit die Bürgerinnen und Bürger an der gesellschaftlichen Entwicklung teilnehmen und sie beeinflussen können.

So stehen von je her Schreibende, Intellektuelle und Philosophen, als Denker die das geistige und literarische Material liefern, mit dem Bürger politische und gesellschaftliche Freiräume denken und sich erkämpfen können, im Fadenkreuz der staatlichen Stellen; oft genug ist dabei dasWort Fadenkreuz sehr wörtlich zu nehmen.

Für mich als Mitglied der schreibenden Zunft ist also dieses Datum 10. Mai nicht nur deshalb von herausragender Bedeutung weil es mit dem Gedenken an eine lange zurückliegende Vergangenheit zusammenhängt, sondern auch deshalb, weil das wofür es steht eben nicht nur Vergangenheit ist: Gängelung, Bespitzelung und Verfolgung von Schreibenden, die – suchen sie nicht rechtzeitig das Weite oder finden sie kein sicheres Exil – sogar bis zur physischen Vernichtung geht, sind an der Tagesordnung.

Die internationale Schriftstellerorganisation P.E.N. sieht sich deshalb gezwungen, regelmäßig auf das Schicksal von verfolgten Schriftstellern aufmerksam zu machen und versucht mit der Aktion "Writers-in-Prison" (die jeder/jede unterstützen kann – siehe auch Nachsatz *1) gefährdeten oder bereits verfolgten Kolleginnen und Kollegen zu helfen, oder wenigstens an ihnen begangene Verbrechen aufzuklären.
Offenbar sind Worte, ganz gleich ob in Printmedien gedruckter, ins WWW gestellter, verfilmter oder gesprochener Form, eine mächtige Waffe.

Machthaber und Machthaberinnen in derzeit etwa 100 Ländern auf der Erde halten Worte offenbar für so mächtig, dass sie deren Urheber/Urheberinnen – Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Autorinnen   und Autoren und natürlich Journalistinnen und Journalisten verfolgen. Üblich dabei ist, die Verfolgten als Kriminelle abzustempeln – manche werden verhaftet, strafrechtlich verfolgt oder unter Hausarrest gestellt.

Andere "verschwinden", wieder andere werden ermordet (allein im letzten Halbjahr wurden zehn Kolleginnen und Kollegen getötet, dreizehn sind verschwunden). Karin Clark vom "Writers-in-Prison-Komitee“ erklärt, dass es seit dem 11. September 2001 Terrorverdacht ein sehr beliebtes Argument für Übergriffe auf Kolleginnen und Kollegen ist und die Zahl der Fälle von Verhaftung oder Verfolgung oppositioneller Schreiberinnen und Schreiber ist drastisch gestiegen.

Leider setzen auch in Lateinamerika viele Staaten wieder Einschüchterung, Bedrohung, Verfolgung und Inhaftierung als Waffe gegen Oppositionelle ein und besonders die Regierungen in Kolumbien, Chile und Peru sind hier zu nennen – allesamt Länder, aus denen hervorragende Vertreter der lateinamerikanischen Literatur stammen (Gabriel Garcia Marquez, Pablo Neruda oder Mario Vargas Llosa).

Nun, man könnte ja auf die Idee kommen, dass das weit weg passiert… und mit uns doch nichts zu tun hat. Aber grade auch hier ist die Freiheit des Wortes gefährdet, natürlich weniger durch physische Gewalt… aber es genügt als Repression und Zensur schon, wenn man mit Berufsverbot, Einschränkung von Veröffentlichungsmöglichkeiten oder teuren Gerichtsprozessen droht.

Seit einiger Zeit – auch mit dem Argument Terrorgefahr - werden die Freiräume für Kolleginnen und Kollegen auch in den westlichen Demokratien enger, denn nach den Anschlägen vom 9/11 ist eine schleichende Zunahme autoritärer Strukturen (nicht nur in den USA) zu beobachten. Dabei werden allerdings nicht nur die Täter verfolgt… es zeigt sich, dass man mit dem Instrumentarium der staatlichen Zensur auch sehr gut alle sonstigen unliebsamen Meinungen bekämpfen kann – unlängst wurden mit polizeistaatlichen Methoden Gegner des G8-Gipfels, der in Deutschland stattgefunden hat, verfolgt.

Caesar soll am Morgen jenes Tages an dem er ermordet wurde, einen zusammen gefalteten Zettel mit einer Warnung erhalten haben. Als man ihm den Zettel zusteckte soll er gesagt haben: “Cras legam” – Morgen werde ich es lesen.

Was dann geschah, steht in den Geschichtsbüchern. Nun, es könnte sein, dass sich Geschichte in dem Sinne wiederholt, dass wir ebenfalls “cras legam” nicht mehr können… diesmal aber, weil heute durch Zensur verhindert wurde, dass jemand etwas aufschreibt und die Folgen könnten für die Gesellschaft ähnlich fatal sein, wie sie für Caesar persönlich gewesen sind.

Wir sollten wahrhaftige Verfassungsbürgerinnen und –bürger sein und den Artikel 5 unseres Grundgesetzes verteidigen, nach dem Zensur in diesem Land in keiner Weise stattfinden darf. Aber wie bei so vielen Rechten die nur auf dem Papier stehen aber nicht von einer aufmerksamen Bevölkerung gelebt werden, wird dieser Artikel schon seit langer Zeit mehr und mehr ausgehöhlt (siehe auch Nachsatz *2).

Und es wird schlimmer. Dem ehemaligen Richter beim Bundesverfassungsgericht und keinem geringeren als dem ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zufolge, sei unter den Bestimmungen des Artikel 5 lediglich die Vorzensur als "einschränkende Maßnahmen vor der Herstellung oder Verbreitung eines Geisteswerks" zu verstehen und mit dem Verweis auf z.B. das jugendgefährdende Schriften, könnte eine Nachzensur sehr wohl in Einklang mit dem Grundgesetz stehen.

In Wahrheit aber geht es wohl eher darum, unliebsame Meinungen zu unterbinden, welche den Interessen der Macher in Politik, Wirtschaft und Kultur widersprechen und zwar so sehr, dass sie eine Gefahr für sich sehen. Es wird also nur das verhindert, was gewisse politische und wirtschaftliche Interessengruppen des Meinungskartells für schädlich halten: z.B. wenn der heilige neoliberale G8 – Gipfel angepöbelt wird und die unsozialen Machenschaften offen gelegt werden.

Auf dem Altar der Profitgier wird eben auch die Meinungsfreiheit gerne mal geopfert.

Schlimmer noch allerdings ist es, wenn sich Intellektuelle, Journalistinnen und Journalisten vor den Karren der Macht spannen lassen (es gibt nicht wenige davon) und als Experten Nichtbeweisbares beweisen wollen und uns, scheinbar gut argumentierend, einreden wollen, dass gut für uns sei, wenn es uns nicht gut geht.

In diesem Sinne

Wilfried John

  1. Nachsatz:
    Wer etwas für verfolgte Kolleginnen und Kollegen tun will oder sich näher informieren möchte, kann das unter
    http://www.pen-deutschland.de/htm/au..._prison.php oder http://www.amnesty-meinungsfreiheit.de/  tun...

  1. Nachsatz:
    Wer sich über Zensur in Deutschland ein Bild machen möchte, kann sich
    unter http://www.cras-legam.de/HHZ01.htm informieren.

    Ein Teil des Textes ist der Einleitung meiner Rezension des Titels “Der
    unerträgliche Gaucho” von Roberto Bolano entnommen – veröffentlicht
    auf http://www.wolfskreis-lyrics.de


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