Eine andere Welt ist möglich - Zum Weltsozialforum 2009 in Belém/Brasilien
Eine andere Welt ist möglich - Zum
Weltsozialforum
Der Sozialismus hat derzeit keine Konjunktur.
Aber ob er seine
Funktion als Pendant zum Kapitalismus definitiv beendet hat, bleibt
abzuwarten. Richard von Weizsäcker
Funktion als Pendant zum Kapitalismus definitiv beendet hat, bleibt
abzuwarten. Richard von Weizsäcker
Es gibt große Orte und große Ereignisse, die treten kaum in Erscheinung. Im Wust der täglichen Meldungen in Nachrichtensendungen (oder was sich so bezeichnet), in Magazinen und Zeitungen (oder was sich so bezeichnet), treten diese Orte und Ereignisse hinter den wichtigen Meldungen (z.B. der Verletzung eines Fußballspielers der zweiten Liga oder den Scheidungsgerüchten eines drittklassigen Schauspielerpaares) zurück.
Es gibt sehr viel
kleinere Ereignisse, die in sehr viel kleineren Orten stattfinden, die aber
dennoch in oben genannten Medien breiten Raum finden und sogar noch vor die
oben genannten wichtigen Meldungen gestellt werden; z.B. das Weltwirtschaftsforum
in Davos ist ein solches Ereignis. Das Ereignis, über das es in diesem Artikel
gehen soll ist, entspricht jedoch dem genauen Gegenteil dieses Klüngeltreffens
der Weltwirtschaft im oberfeinen Schweizer Kurort: Es geht um das Weltsozialforum
2009 in Belém/Brasilien.
Während sich in Davos,
alle Jahre wieder, die Reichen und Mächtigen abgeschirmt von der Bevölkerung
treffen und ihre Geschäfts- und Profitmaximierungsstrategien ausklüngeln,
sollte das Weltsozialforum einen offenen Raum für soziale Bewegungen bieten, um
sich zu treffen, zu diskutieren und Strategien für eine andere, eine bessere
Welt zu entwerfen. Das Weltsozialforum ist ein Raum für soziale Bewegungen und
hat sich – seit der ersten Veranstaltung im brasilianischen Porto Alegre 2001 –
selbst zu einer sozialen Bewegung entwickelt, da das Weltsozialforum zur
Gründung zahlreicher lokaler, regionaler und nationaler Sozialforen geführt
hat; nicht zuletzt auch zum Europäischen Sozialforum und zum Deutschen
Sozialforum.
Während beim jährliche
Treffen in Davos penibel auf die Gästeliste geschaut wird, auf der
selbstverständlich nur in etwa Gleichgesinnte stehen, und man
geheimniskrämerisch darauf achtet, dass ja nichts was besprochen wurde zu den
Menschen durchdringt, zeichnet sich das Weltsozialforum durch Pluralität und
Offenheit aus. Das Forum ist unabhängig von Regierungen, Parteien und
Religionen und zu den wichtigen Themen der verschiedensten Diskussionsforen
gehören Demokratie, Frieden, Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Zugang zu Gesundheit,
Bildung und Wasser, Arbeitnehmerrechte und der Schutz von Minderheiten. Der
Meinungsaustausch eines großen Spektrums verschiedener Gruppen, Delegierten und
Einzelpersonen aus allen Kontinenten, öffnet zum einen die Chance auf
verschiedene Blickwinkel und einen breiten Interessenaustausch.
Während es in der
Schweiz um den Erhalt und den Ausbau der Pfründe einer sehr kleinen Minderheit
geht, die sich international in mächtigen Verbänden und Organisationen vernetzt
und in politischen Parteien eingekauft sowie mit der Macht ihrer
(Massen-)Medien den Menschen die Ideologie des Neoliberalismus indoktriniert
hat, will das Weltsozialforum Alternativen zum in den Medien (immer noch) vorherrschenden
Denkmodell des globalen Neoliberalismus aufzuzeigen und deren Ausarbeitung fördern.
Während es bei der
Versammlung der Technokraten und Machthaber in Davos darum geht, die sog. Globalisierung
weiter voranzutreiben und noch besser auszubeuten, Instrumente (eigentlich
Waffen) wie die WTO zu schärfen und ihren Einfluss auf die Politik direkt
auszuüben (zahlreiche Machthaber die auch regelmäßig bei den sog. G8-Gipfeln
gesehen werden, sind auch regelmäßig in Davos zu besichtigen), will das Weltsozialforum
zum Ausdruck bringen, dass es auch eine andere Globalisierung gibt: Die
Vernetzung der Menschen, die für ihre Rechte kämpfen; der Menschen, die gegen
unmenschliche Formen der Ausbeutung kämpfen; der Menschen, welche ihre
gestohlenen Ressourcen einfordern.
Während sich die sog.
Eliten (Elite = Auswahl der Besten?) in Davos darüber unterhalten, mit
Maßnahmen wie Erpressung schwächerer Handelspartner (offiziell Freier Handel
und Offene Märkte genannt), sich ein noch größeres Stück vom Kuchen
abzuschneiden oder die alte Leier des überbürokratisierten und überregulierten
Staatswesens abspulen, das man eigentlich nicht brauche, weil man es eh besser
kann als der Staat und der Markt sowieso alles besser regeln kann (als wenn die
aktuelle Krise nicht das glatte Gegenteil bewiese), will das Weltsozialforum
zeigen, dass diese Deregulierungsorgien aber nicht zum Wohle der Menschen
führen, sondern nur zum Wohl derer dienen, die dieser Wohltat längst nicht mehr
bedürfen. Wir wollen zeigen, dass es auf verantwortungsbewusstes Denken und
Handeln für das Wohl der ganzen Welt ankommt und nicht auf die Profitgier
Einzelner, wenn wir vermeiden wollen, dass alle 5 Sekunden ein Kind in der Welt
Hungers (oder an den Folgen des Hungers) stirbt.
Während die Diebe, ihre
Hehler und die Schmieresteher von Davos keine Probleme damit haben ein
gemeinsames Interesse zu formulieren, hatte das Weltsozialforum dieses Problem
von Beginn an. Dennoch ist es 2001 in Porto Alegre gelungen, die sog. „Charta
der Prinzipien“ zu beschließen, die seither Leitfaden der Bewegung ist: „Das
Weltsozialforum ist ein offener Treffpunkt für reflektierendes Denken, für die
demokratische Debatte von Ideen, für die Formulierung von Anträgen, für freien Austausch
von Erfahrungen und zum Vernetzen effektiver Aktionen von Gruppen und
Bewegungen der Zivilgesellschaft, die sich dem Neoliberalismus und der
Weltherrschaft durch das Kapital oder irgendeine andere Form des Imperialismus
widersetzen und sich für den Aufbau einer planetarischen Gesellschaft
engagieren, in der der Mensch im Mittelpunkt steht.“
Am 27. Januar 2009
begann also das diesjährige Weltsozialforum Diesmal jedoch in nicht Porto
Alegre, sondern in der in Deutschland kaum bekannten brasilianischen Großstadt
Belém im Amazonas-Delta. Zum Forum wurden 80.000 Besucher aus 150 Ländern
erwartet (über 100.000 kamen), darunter Delegierte von rund 4.000 sozialen Bewegungen,
indigenen Völkern, Gewerkschaften, Kirchen und nichtstaatlichen Organisationen,
aber auch gewählte Staatsoberhäupter; z.B. Evo Morales. Inhaltliche
Schwerpunkte sind Ökologie und Klimagerechtigkeit, Arbeitswelt und Menschenrechte,
indigene Völker sowie die vielerorts geübte Praxis, sozialen Protesten mit
Strafverfahren begegnen zu wollen. Im Vordergrund werden allerdings Antworten
der Zivilgesellschaft auf die globale Finanz- und Wirtschaftskrise stehen.
Belém wurde in diesem
Jahr Gastgeberin nicht nur weil es ein Ort jenseits der bekannten
brasilianischen Klischees ist, sondern auch weil an diesem Ort als größter
Ballungsraum der brasilianischen Amazonasregion viele gesellschaftliche
Entwicklungen, die beispielhaft für Brasilien, jedoch auch für viele andere
Länder des Südens sind, stattfinden. Soziale Bewegungen aus aller Welt werden
sich ein Bild von den Problemen in der Amazonasregion machen können; die
synonym für sehr viele gleich gelagerte Situationen in der Welt stehen.
Gleichzeitig können alle Beteiligten in über 2500 Diskussionsforen ihre eigenen
Anliegen vortragen sowie politische Forderungen und Strategien für eine globale
Vernetzung diskutieren und weiterentwickeln.
Viele der Teilnehmer,
insbesondere jenen aus den sogenannten Entwicklungsländern oder aber auch
teilnehmende Gewerkschaften (ich bin glücklich, dass auch meine Gewerkschaft
selbstverständlich teilnimmt), interessieren sich zwar auch für ideologische
Debatten, aber wollen auch konkrete Verabredungen treffen und eine pragmatische
Politik vorantreiben. Es gibt zwar einen ungelösten Meinungsunterschied über
den einzuschlagenden Weg (Reform oder Revolution), was jedoch niemanden daran
hindert eigene Vorstellungen zu verwirklichen; z.B. unterstützen manche eine
Öffnung des Weltmarkts, kritisieren aber gleichzeitig einseitige
Wettbewerbsverzerrungen z.B. durch Subventionen in die Landwirtschaft der
Industrieländern, welche vielen Bauern in der sog. Dritten Welt die Existenz
kosten und in die Schuldknechtschaft treibt.
Wir sollten uns nichts
vormachen: Auch wenn die derzeitige Finanz- und Wirtschaftskrise zwei Milliarden
Menschen noch weiter ins Elend stürzte, dominiert immer noch eben jene
wirtschaftspolitische Richtung, die für die Krise verantwortlich ist, die
Meinung und die Politik in vielen Ländern. Was vor über 25 Jahren, die Politik
regelrecht subversiv unterwandernd, eingeführt wurde und seither vor allem in
den Industriestaaten (aber natürlich auch bei deren Vasallen) am Werke ist,
verschwindet nicht einfach so. Man muss diese Politik verjagen… wie z.B.
aktuell in Island… denn sonst klebt sie regelrecht an den Politikern, welche
diese neoliberale und oft imperialistische Politik fortführen.
Die Wirkungen solcher
Politik hat sich in den letzten Jahren deutlicher denn je gezeigt: Mehr und
mehr Privatisierung wichtiger Unternehmen der Öffentlichen Hand, systematische
Angriffe auf Löhne und die kollektiven Sicherungssysteme der Daseinsvorsorge…
aber auch Wirtschaftskrieg gegen die Armen (Marktöffnung genannt), Aufrüstung der
Großmächte und imperialistische Kriege, besonders zur Eroberung von Ölfeldern
und ganzen Volkswirtschaften. Man kann erkennen, dass solche Politiken in den
industrialisierten wie in den sich entwickelnden Ländern gleichermaßen
angewendet werden, wenn auch mit unterschiedlichen Auswirkungen.
Das Weltsozialforum hat
aber auch schon Wirkungen gezeigt. Die Diskussionen und die Verbreitung solcher
Informationen in weltweiten Netzwerken hat zu Gegenbewegungen geführt; wenn
auch noch sehr schwach auf globaler Ebene. Die aktuelle Krise „leistet zudem
noch Hilfe“ und so findet langsam ein Umdenken statt; zumal klar zutage trat,
dass die gepredigten Rezepte gescheitert sind und sich sogar die Hauptakteure
der Großfinanz unter die Rettungsschirme des Staates stellen. Das Wort
Deregulierung wird auch nur noch von unverbesserlichen Schwachköpfen (meist
sog. Liberale - Liberal = Frei; aber frei von was?) gebetsmühlenartig vorgetragen
– und es ist zu erwarten, dass die mächtigen G8-Akteure zurückkehren zur Regulierung
dessen, was sie vor Jahren dereguliert haben.
Dennoch heißt es immer
noch Vorsicht walten zu lassen; der Schoss ist fruchtbar noch, aus dem dies
kroch. So haben z.B. die Großbanken in Deutschland zu Beginn der Krise den
Finanzminister aufgesucht und ihre Vorstellungen für ein Rettungspaket deutlich
gemacht. Diese Vorschläge hat dann ein Beratungsunternehmen, das auch schon für
die Banken tätig war, ausformuliert; dieser Text wurde dann 1:1 von der Politik
übernommen. Kein Wunder also, dass die Verursacher der Krise plötzlich auch die
Hauptprofiteure der Rettungsmaßnahmen sind und mit staatlicher Rückendeckung
nun solchen Instituten wie etwas Sparkassen und Genossenschaftsbanken, die
unschuldig an der Krise sind, unlautere Konkurrenz machen.
Es kommt also auf uns
an. Wir sollten endlich aufhören denen nach dem Munde zu reden, die nicht die
Interessen der Allgemeinheit vertreten, sondern sich zum Handlanger der
Interessen Einzelner machten. Wir sollten denen sehr genau auf die Finger
schauen, die bereit sind unvorstellbare Summen unseres Geldes in die Hand zu
nehmen, damit aus einer vordergründigen Rettungs-Aktion nicht doch nur ein
weiterer Raubzug wird. Nehmen wir uns ein Beispiel an den Isländern… sie hatten
es schwer zu Neuwahlen zu kommen. Wir haben es einfacher; in Deutschland sind
die Wahlen in vielen Bundesländern und auf Bundesebene schon terminiert; nutzen
wir sie.
Wir sollten alle
unterstützen, die einzusehen bereit sind, denjenigen das Handwerk zu legen, die
aus Gier ganze Gemeinwesen dazu bringen, sich auf Generationen zu verschulden
oder diese Gemeinwesen sogar in Gefahr bringen. Wir sollten alle die
unterstützen, die schlüssige Regeln aufstellen und sich um die Überwachung der
Regeln kümmern wollen. Wir sollten all jene unterstützen, die für eine andere
Welt kämpfen – weil eine andere Welt möglich ist!
Wilfried John
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