Die Gärtnerin im Wirtschaftsgarten und die Maulwurfshügel – Merkel in Davos
Die Gärtnerin im Wirtschaftsgarten und die
Maulwurfshügel – Merkel in Davos
Der Aberglaube an die automatische Wirkung der
Einsicht kommt
außerhalb der schematischen Propaganda nur noch bei alten
Mathematikern vor. Ernst Bloch
Mathematikern vor. Ernst Bloch
1. Alles wie gehabt
Nun ist der sog. Weltwirtschaftsgipfel, der –
begleitet von heftigen Protesten, über die hierzulande kaum berichtet wurde –
in Davos/Schweiz tagte, vorbei. Wenn Tagesordnungen, über die Beitragsfolge
hinaus, etwas zu bedeuten haben, dann ist es bezeichnend, dass die Veranstalter
das 39. Weltwirtschaftsforum mit den würdevollen Worten des südafrikanischen Bischofs und Friedensnobelpreisträgers
Desmond Tutu ausklingen ließen. Es stimmt mich nachdenklich, dass sich aus über
200 Workshops und Foren kein einziger wirklich neuer Ansatz herausfiltern
lässt, mit dem die Rückkehr zu zumutbaren Marktmechanismen verlässlich
angegangen werden könnte. Nun, vielleicht dachten die Veranstalter, bei so viel
Ratlosigkeit, helfe nur noch zu beten.
Da half es auch ganz bestimmt nicht, dass die
alten Propheten der Deregulierung, des Marktradikalismus und des sog. Freien
Handels versuchten, mit den alten Gebetsmühlen ein „weiter so“ zu predigen. Da wurden
Schulterschlüsse zwischen Regierungen, Konzernen und internationalen Institutionen
wie der Weltbank und dem IWF beschworen, da wurde vor dem Rückfall in die
nationale Abschottung von Auslandsmärkten (Protektionismus) gewarnt, und da wurde ausgerechnet die
Welthandelsorganisation WTO aufgerufen, bloß nicht nachzulassen in dem Bemühen,
auch noch die letzten vorhandenen Barrieren einzureißen; als ob nicht jedem
einigermaßen klar denkenden Menschen mittlerweile aufgefallen wäre, dass uns
genau diese Glaubenssätze in die Krise geführt haben.
Selbstverordneter Sinn dieses Treffens war, sich
fünf Tage lang mit neuen Vorschlägen zur Lösung der weltweiten Wirtschafts- und
Finanzmarktkrise zu beschäftigen. Aber anstatt sich – auch selbstkritisch – auf
die Suche nach den wahren Ursachen der Kapitalismus-Krise zu machen, um sie
dann ausmerzen zu können, drehten sich die Teilnehmer im Kreis und schöpften
nur aus dem (kleinen) Einmaleins der Volkswirtschaftslehre. Politiker, die vor
ein paar Wochen noch von den arroganten Investment-Bankern nicht einmal
empfangen worden wären, werden nun von denen, die Auslöser des Niedergangs der
Börsen und Betriebe sind, um Geld angebettelt. Im Gegenzug bekamen sie zu
hören, dass aber bloß keine neuen Regeln entwickelt werden sollten oder gar
staatliche Direkteinwirkung ausgeübt wird; die alte Arroganz versuchte sich –
mehr oder minder geschickt – hinter der zur Schau getragenen „Rhetorischen
Demut“ zu verbergen.
Aber von wirklicher Demut war in Davos nichts
zu spüren; von Reue schon gar nicht. Eher herrschte Trotz vor, hin und wieder
(besonders in Interviews) Zweckoptimismus und sehr selten Besorgnis; das war
die Stimmungsmischung beim Treffen der sog. wirtschaftlichen Weltelite. Aber
wie sollten auch ausgerechnet diejenigen die Weltwirtschaft wiederbeleben,
welche die Wirtschaft (und somit sich selbst) in die schwerste Krise seit dem
2. Weltkrieg versetzt haben?
Nun, ich bin weit davon entfernt einen Satz
hierhin zu schreiben, der triefend von Häme, so etwas wie „geschieht ihnen
recht“ formuliert oder gar vom Ende des Kapitalismus redet. Denn erstens glaube
ich, dass ich nicht bescheuert bin und zweitens würde dieser Satz automatisch
die Milliarden Menschen mit einbeziehen, die weltweit durch diese Krise noch weiter
ins Elend gestoßen werden; aus dem sie teilweise just versucht hatten zu
entkommen. Das bedeutet natürlich nicht, dass ich das verantwortungslose
Verhalten der oben genannten Propheten dulden würde oder bereit wäre, einfach
zur Tagesordnung überzugehen; bewusst nenne ich keine einzelnen Namen, denn es
geht nicht um die Fehler einzelner Manager, sondern darum, dass das Problem ein
grundlegendes ist (siehe auch meinen Artikel „Des Teufels Generäle – Über
Manager großer Konzerne“).
2. Schampus und Blabla
Und wenn Du glaubst, schlimmer geht’s nicht
mehr, kommt irgendwo ein Merkel her. Hätte sie es doch nur so gemacht wie der
neue us-amerikanische Präsident – er blieb zuhause und versucht sich nicht in Schaumschlägerei,
sondern in pragmatischem Handeln. Stattdessen konnte sie offenbar der
Versuchung nicht widerstehen, sich unter den versammelten Bankrotteuren als
Heilbringerin zu profilieren; ganz so wie der Einäugige unter lauter Blinden.
Allen Ernstes schlug sie vor, die in
Deutschland entwickelte soziale Marktwirtschaft sollte Vorbild für die ganze
Welt sein und, dass diese – für die Welt neuen – Regeln dieses
Wirtschaftsystems, von einem internationalem Gremium bei den Vereinten Nationen
kontrolliert werden könne; einem Verein, der in der derzeitigen Verfassung,
nicht einmal das kontrollieren kann, was er seit Jahren schon selbst in
Resolutionen verkündet. Sie war jedoch schlau genug, zunächst den Vorbehalt zu machen,
dass dies nach Überwindung der derzeitigen Wirtschaftskrise geschehen sollte
und „vielleicht“ könne dies schon beim Treffen der 20 wichtigsten Industrie-
und Schwellenländer (G20) im April in London beschlossen werden.
Wie viel Naivität (?) tritt da zutage… oder war
das der erwähnte Zweckoptimismus, der sie sagen ließ, bis Anfang April wäre die
Krise überwunden? Zum Glück für das Deutsche Ansehen in der Welt, hatte sie nur
eine halbe Stunde Zeit für ihre Rede und es schloss sich an ihren Vortrag keine
Diskussion an; aber wahrscheinlich hätten die Anwesenden eh keine kritischen
Fragen gestellt. Niemand hätte sie nach dem aktuellen Zustand der von ihr
vorgeschlagenen Wirtschaftsordnung in Deutschland gefragt… da ja sie und ihre
politischen Freunde – die auch im Plenum saßen – maßgeblich an der Aushöhlung
der an sich keineswegs schlechten Idee seit Jahren mitwirken.
Außerdem ist der Begriff „Soziale
Marktwirtschaft“ an sich, eine hohle Formel und so oberflächlich daher gesagt,
geriet Frau Merkel auch nicht in die Gefahr ausgepfiffen zu werden; schließlich
saßen da keine Dummköpfe vor ihr und die konnten sich mühelos denken, dass
damit das Maß für den Umfang des Sozialen in der Marktwirtschaft variabel bleibt.
Genau aus diesem Grund finden sich hierzulande mit einem Mal „Verteidiger der
Sozialen Marktwirtschaft“, denen man das vor Jahresfrist nie und nimmer
zugetraut hätte; allerdings führen die nur vordergründige und populistische
Spiegelfechtereien – etwa wenn der Chef des Bundesverbandes der Deutschen
Industrie meint, dass die Skandale um überzogene Managergehälter und
Steuerhinterziehungen der Sozialen Marktwirtschaft Schaden zufügen.
Das soll vertuschen, dass die deutsche
Wirtschaft und ihre Spitzenvertreter sich in den letzten zehn Jahren zunehmend
selbst außerhalb der Sozialen Marktwirtschaft bewegt haben und fortgesetzt unsere
Verfassung ignorierten, in der es im Art. 14 heißt: „Eigentum verpflichtet.
Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Die selben
Spitzenverbände der Wirtschaft – in Zusammenarbeit mit der Frau, die in Davos
so vollmundig das „Weltmodel Soziale Marktwirtschaft“ verkündete – haben sich seit Jahren daran beteiligt, die Soziale
Marktwirtschaft auf IHR Maß zu stutzen. Keine Sozialabbaumaßnahme ging ihnen
weit genug. Keine Steuersenkung für Unternehmen, Reiche und Superreiche war
ihnen hoch genug. Für jede Massenentlassung zeigten die Wirtschaftsbosse
Verständnis.
Also Vorsicht! Bitte nicht den Krokodilstränen
dieser Herren und ihrer Verkünderin auf den Leim gehen; sie sind die Letzten,
deren Rezepten für die Zeit nach der Krise man Glauben schenken könnte. Wie Großkopferten
wirklich denken, konnte man am letzten Donnerstag in der Bilanz-Pressekonferenz
der Deutschen Bank bei Herrn Ackermann sehen. Er gehe "jede Wette
ein", sagt Josef Ackermann, dass Banken mit einem dicken Kapitalpolster in
drei oder vier Jahren von Analysten wieder zu Aktienrückkaufprogrammen
ermuntert würden. Irgendwann werde auch wieder die Zeit kommen, da Banken eine
Eigenkapitalrendite von 25 Prozent zum Maßstab für Erfolg machten. "Wenn
wir es nicht tun, werden es die anderen tun", fügte er hinzu.
3. Erste Schritte
Es führt zunächst nichts an Maßnahmen vorbei,
welche auf den ersten Blick so aussehen, als würden diese Maßnahmen diejenigen
belohnen, die das Chaos verursacht haben. Niemand kann ein Interesse daran haben,
dass der „ganze Laden“ vollends zusammenbricht; jedoch aus unterschiedlichen
Gründen. Wenn heute die „bösen Worte“ von Verstaatlichung und Enteignung sogar
über die Lippen von konservativen Politikern kommt, dann ist damit nicht
gemeint, die Axt an die Wurzel der Übel des kapitalistischen Wirtschaftssystems
zu legen. Keine Sorge, hier parlieren (leider) keine Revolutionäre die dieses
System umstürzen wollen, sondern Leute, die genau dieses System retten wolle,
um es so zu behalten wie es ist.
Nicht dass das diese Herrschaften aus
Überzeugung tun. Merkel und Steinbrück in Deutschland sind ebenso Getriebene,
wie Obama in den USA, Sarkozy in Frankreich und Brown in GB. Es zeigt sich,
dass die bisherige internationale Therapie gegen die Finanzkrise nicht
ausreicht. Der Geldbedarf der Banken wächst schneller als Steuergeld in die
Banken fließt. Die Frage von Verstaatlichung und Enteignung rührt – nach ihrer Vorstellung
– schon an die Grundfesten des Wirtschaftssystems. Und dennoch ist es in diesem Fall keine Frage der Ideologie. Die Protagonisten der
radikalen Lösung sitzen nicht in der Partei „Die Linke“. Dort treffen sich zwar
ein paar Herrschaften, die das schon immer gesagt haben, dies aber anders als
Merkel und Co. meinen.
Was früher nur von hartgesottenen
Revolutionären gekommen wäre, kommt heute aus den Aufsichtsbehörden der Banken,
von der Wallstreet und aus den Frankfurter Bankentürmen. Sie wollen das System
nicht umstürzen, sondern retten. Sie kennen dieses System von innen. Und sie wissen,
dass es sich nicht mehr selbst helfen kann... obwohl gerade diese Herrschaften
in den letzten 20 Jahren gerade das behauptet haben und die Politik zwang, sich
genau so zu verhalten, dass es ihnen in den Kram passte.
Nun, der Glaube an die unbegrenzten
Möglichkeiten des Marktes ist passé. Es hilft nur noch das, was man in all den
Jahren verteufelte und versucht hat klein zu machen: Der Staat. Wenn ich – bis
hier hin – auch noch ganz einverstanden bin, dann enden die Übereinstimmungen
bei der Frage der Konsequenzen der Inanspruchnahme staatlicher Hilfen. Während
die Herrschaften und ihre politischen Helferlein keinerlei Einfluss auf das
Geschäftsgebaren der Banken und Finanz-Dienstleister hinnehmen/nehmen wollen,
kommt aus meiner Sicht gar nichts anderes in Frage: Wer die Musik bezahlt, bestimmt was gespielt wird; lautet ein altes
Sprichwort.
Zumal wir nicht wissen, was noch alles auf uns
zukommt. Wer vielleicht daran glaubt, dass das schon alles gewesen ist, ist…
zumindest schlecht informiert. Das was da noch alles kommt, beginnt vor allem
mit den sog. „toxischen Papieren“ (einer dieser schaurig-schönen neuen Krisen-Begriffe),
die mit den bisherigen Hilfen nicht entgiftet sind, und endet noch lange nicht
mit zu erwartenden riesigen Abschreibungen. Schon wollen die Bankrotteure den
Helferlein einflüstern, dass das Gift, das sie weit verstreut haben und das nun
die Bankgeschäfte lähmt, in einer "Bad Bank" gut aufgehoben wäre.
Die Sprache ist schon entlarvend: Jene die da
von einer Bad Bank reden, glauben offensichtlich immer noch, dass es eine Good
Bank gäbe. Da soll der Staat das komplette Risiko übernehmen, allein zu Lasten
des Staates (also der Steuerzahler), und soll aber nichts zu melden haben?
Damit wir uns richtig verstehen, ich rede hier nicht von Sparkassen oder Genossenschaftsbanken,
sondern von den Zockern und Absahnern. Leute, die nicht mehr wissen was sie
sagen und offensichtlich an Demenz leiden, werden entmündigt… die Leute, die da
von Bad Banks reden, sollten in den Chef-Etagen nichts mehr zu melden haben!
Diese Leute gehören nicht nur enteignet, sie gehören haftbar gemacht oder – wo
sie ungesetzlich handelten – bestraft (siehe auch der Artikel „Des Teufels Generäle
– Über Manager großer Konzerne“). Das ist aber, gemäß der Überschrift dieses
Absatzes, nur der erste Schritt.
4. Umbau des Weltwirtschaftssystems
Umso dringlicher sind die nächsten staatlichen
Schritte. Und da komme ich nun doch wieder auf die Einlassungen der Besten
Bundeskanzlerin die wir je hatten. Ihr Vorschlag bezeichnet und bezieht sich
auf ein System, das wir Soziale Marktwirtschaft nennen und das ich oben als an sich
keine schlechte Idee bezeichnete. Aber so wie es in den letzten zehn Jahren
einen (von der Industrie finanzierten) Verein
„InitiativeNeueSozialeMarktwirtschaft“ gab, die nichts weiter im Sinn hatte, als die Soziale Marktwirtschaft zurück zu stutzen, muss es jetzt
eine von der Gesellschaft getragene InitiativeAlteSozialeMarktwirtschaft geben,
die ein gerechtes und erforderliches Maß des Sozialen definiert. Man muss
wissen, wie viel sozial in der Marktwirtschaft ist.
Das kann man dann meinetwegen in die von der
Kanzlerin vorgeschlagene Charta schreiben und muss noch verbindlich hinzufügen,
dass langfristig die Daseinsfürsorge der Bevölkerungen in Gemeineigentum
überführt wird. Sollte dies bis zum Treffen der 20 führenden Industrienationen
und Schwellenländer Anfang April in London – wenigstens in den Grundzügen –
erstellt sein, dann wäre ich sehr dafür, dass es auch verbindlich beschlossen
würde; als Schritt in die richtige Richtung. Dazu gehört eine allgemeine
Debatte, die schon in einigen Ländern begonnen hat: Wir müssen in diesem Zusammenhang
nämlich nicht nur über Armut reden, sondern auch über unangemessenen Reichtum,
über Menschen, deren einziges Ziel darin besteht, diesen Reichtum ohne
Rücksicht auf die Gesellschaft zu vermehren.
Diese Debatte ist nötiger denn je, weil die
oben genannten Propheten der Deregulierung, des Marktradikalismus und des sog.
Freien Handels keine Ruhe geben und nicht auszuschließen ist, dass sie mit
Hilfe ihrer Medienkonzerne wieder Oberwasser in der Öffentlichen Meinung bekommen;
nichts wäre schlimmer, als die jetzige Chance für ein gerechteres
Wirtschaftssystem wegen Debattenfaulheit zu verschludern. Es ist eben nicht
damit getan (siehe Island) Politiker auszutauschen… es ist ein Politikwechsel
erforderlich, der Arbeit und soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt der
stattlichen Ordnung stellt.
Das gilt besonders für Europa und hier vor
allem für Deutschland, als dessen größte Volkswirtschaft, weil schon im
Kielwasser der Krise einige der „Alten Garde“ segeln und die auf die Krise
gerichtete (abgelenkte) Aufmerksamkeit nutzen wollen, das Soziale in Europa
weiter einzuschränken. Die Möglichkeit der Neuverschuldung der Euro-Staaten ist
über das Maastrichter Abkommen (3%-Klausel) ohnehin schon eingeschränkt, so
dass die Mitgliedsländer – nicht ohne das Risiko von Strafzahlungen – kaum in
der Lage sind, antizyklisch auf Konjunkturprobleme zu reagieren.
Nun wollen die Strategen auch noch zusätzlich
die Deutsche Verfassung ändern, so dass ein Zwang zum Schuldendienst entsteht,
der die Rückzahlung der Schulden über alles stellt. Wenn – was zu erwarten ist
– das ewige Gezerre um Steuersenkungen weitergeht und die Politik schließlich
freiwillig nachgibt oder dazu erpresst wird, dann wird man – um an das Geld zu
kommen – dort „sparen“, wo man es seit Jahren tut; Hartz IV lässt grüßen. Und
wenn das die größte Volkswirtschaft tut, werden sich die anderen nicht anders
verhalten können.
Ausnahmsweise zitiere ich einmal Frau Merkel:
„Der Staat ist der Hüter der sozialen Ordnung, aber Wettbewerb braucht Augenmaß
und soziale Verantwortung“. Wenn sie das ernst meinte, dann kann ich ihr schon
fast zur Hälfte zustimmen. Diese andere Hälfte – in dem Wort Wettbewerb verborgen
– ist jedoch zumindest streitig. Ich bin davon überzeugt, dass ich mich mit ihr
darüber nicht werde einigen können; zu unterschiedlich sind unsere Meinungen
darüber, was dem Wettbewerb unterliegen sollte oder – anders gesagt – wo
Marktwirtschaft anfängt, aufhört oder ob sie überhaupt sein muss.
Ich spüre an dieser Stelle förmlich den Reflex
der Lesenden, denen – gemäß der langjährig konsumierten kapitalistischen
Propaganda – das Bild der DDR oder der Sowjetunion durch den Kopf schießt. Doch
seien sie versichert, schon zu den Zeiten, da diese Systeme noch existierten, hatte
ich mit ihnen nichts im Sinne, da sie meinen Vorstellungen eines modernen
Sozialismus nicht entsprachen. Wegen dieser Vorstellungen, dass es nämlich
einen Dritten Weg zwischen Kapitalismus und Staatswirtschaft geben muss, kann
ich mich ja gerade mit dem Modell der Sozialen Marktwirtschaft – als
weiterzuentwickelndes System – anfreunden.
5. Langfristige Ziele
Nach meiner – mit Lebenserfahrung unterlegten –
Überzeugung, gibt es kein ausschließliches „Entweder/Oder“, sondern es ist
lebenspraktisch, immer ein „Sowohl/Als auch“ zu denken. Es hat sich nun mal –
bei dem einen Wirtschafts-System früher, beim anderen später – herausgestellt, dass
beide nicht der Weisheit letzter Schluss sind; obwohl uns fast drei Jahrzehnte
gepredigt wurde, dass es zum Kapitalismus keine Alternative gäbe (M. Thatcher:
There is no alternativ – das sog. TINA-Prinzip). Aber wie ich schon sagte, es
gibt immer ein Sowohl/Als auch und vor denen soll man sich stark hüten, die ihr
System als alternativlos hinstellen. Was hindert uns also die Stärken und
Schwächen BEIDER Systeme zu analysieren und aus den Stärken einen Dritten
Entwurf zu machen?
Zuvorderst geht es mir um ein Wirtschaften, das
menschliche Grund-Bedürfnisse ebenso berücksichtig, wie emanzipatorische Ideen,
das Freiheit und solidarische Verantwortung ebenso kennt, wie es Rücksicht auf
die natürliche Umwelt und die Mitkreaturen nimmt. Dabei kann ich mich getrost
in „guter Gesellschaft“ wähnen und mich auf Menschen berufen, die nicht oder
nur begrenzt im Verdacht der Weltrevolution stehen, die sogar ausgesprochene
Gegner einer solchen Doktrin waren; z.B. Papst Johannes Paul II., der über den
Kapitalismus sagte: „Die menschlichen Defizite dieses Wirtschaftssystems, das
die Herrschaft der Dinge über die Menschen festigt, heißen Ausgrenzung,
Ausbeutung und Entfremdung“.
Vielleicht ist dem einen oder der anderen der
Begriff des „Demokratischen Sozialismus“ bekannt, der ursprünglich von der sozialdemokratischen
„Sozialistischen Internationale“ (1951) verwendet wurde, die sich damit von
Kommunismus und Konservatismus gleichermaßen abgrenzen wollte. Schon damals
wurde von der kapitalistischen Propaganda der Begriff Freiheit gegen den Kollektivismus
gesetzt, heute müssen wir den Begriff des „Demokratischen Sozialismus“ gegen
den freiheitsberaubenden Marktradikalismus stellen, der den schwachen Staat favorisiert und durch die Entbürokratisierungs-Propaganda, doch
nur Gesetzlosigkeit verschleiern will. Dabei rufe ich (einmal mehr) Jean Jaques
Rousseau als Zeugen, der formulierte: „Zwischen dem Schwachen und dem Starken
ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit.“
Das demokratische Prinzip des Parlamentarismus,
muss um das Element der plebiszitären Demokratie ergänzt werden. Das
verhindert, dass sich die Politik verselbständigt und es im Ergebnis dazu kommt,
dass sie von Lobbyisten gesteuert wird, die lediglich die Profitinteressen der
sie bezahlenden Konzerne im Sinne haben. Dabei will ich – obwohl es mir nahe
liegt – nicht auf die Schweiz abstellen, sondern einen Mann zitieren, der eine
Kombination aus Elitenherrschaft (Parlament) und Gemeinwirtschaft vertrat,
Oswald Spengler, der aus zutiefst konservativer Sicht anfangs des 20.
Jahrhunderts sagte: „Die Kolonial- und Überseepolitik wird zum Kampf um
Absatzgebiete und Rohstoffquellen der Industrie, darunter in steigendem Maße um
die Ölvorkommen.“
Daraus geht hervor, dass es mir um eine
abgerüstete und friedliche Politik geht. Dabei bin ich nicht der Auffassung,
dass Kriege unter kapitalistischen Verhältnissen unabwendbar sind, aber
durchaus davon überzeugt, dass Jean Jaurès Recht hatte als er quasi prophetisch
am Vorabend des 1. Weltkriegs sagte: „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich
wie die Wolke den Regen.“ Selbst der des Sozialismus völlig unverdächtige
us-amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower, kann als Zeuge gegen den
Militärisch-Industriellen Komplex bemüht werden.
Daraus ergeben sich logisch die
wirtschaftspolitischen Vorschläge, die Grundlagen eines solchen Systems sind
und die – wie mir scheint – angesichts der aktuellen Krise des kapitalistischen
Systems als die besten Rezepte vorkommen, damit sich das nicht wiederholt;
jedenfalls arbeiten diese Vorschläge gründlicher am Problem, als es der lockere
Vorschlag einer Sozialen Marktwirtschaft tut. Frau Kanzlerin, es ist Zeit für
einen Paradigmenwechsel! Es kann nicht (nie) mehr um die Formel der
Neoliberalisten gehen, nach der man „das Soziale neu denken“ müsse, sondern es
muss darum gehen „das Neue sozial zu denken“.
Ich möchte – ohne Anspruch auf Vollständigkeit
– ein paar Grundgedanken aufschreiben, um das Projekt „Demokratischer Sozialismus“
zu umreißen. Der erste Abschnitt bezieht sich auf Frieden und Umwelt –
zwingende Voraussetzung für das Überleben und die Möglichkeit des menschlichen
Fortschritts. Es geht erstens um die direkte gesellschaftliche Kontrolle des
bislang privatwirtschaftlich organisierten Militärisch-Industriellen Komplexes
(wobei ich nicht etwa nur eine Verschärfung des Kriegswaffen-Kontroll-Gesetzes
meine) und zweitens um die gesellschaftliche Kontrolle über die gesamte
Energiewirtschaft (nähere Ausführungen siehe auch im letzten Teil meiner Artikelserie:
„Lösungen sind denkbar – Gedanken zur sog. Energiekrise“).
Im zweiten Abschnitt geht es um Grundversorgung
der Bevölkerung. Dazu ist es erforderlich, dass alle Wirtschaftsbereiche, die
auf Netze angewiesen sind und die Grundversorgung der Bevölkerung sicherstellen,
in gesellschaftlicher Verantwortung bleiben müssen oder wieder dahin
zurückgeführt werden müssen. Das gilt beispielsweise für die Bahn, für die
Strom-, Gas- und Wasserversorgung und den Telekommunikationsbereich. Gemeint ist hier tatsächlich gesellschaftliches
Eigentum, das somit den ausschließlichen Interessen der Profitmaximierung
entzogen ist/wird. Gleichzeitig muss der Begriff „Schlüsselindustrien“ neu gefasst
werden; wozu heute sicher – nicht wie in der klassischen Definition des
Begriffes – auch Banken und Versicherungen gehören. Diese Schlüsselindustrien
müssen in Gemeineigentum überführt werden; aus den Gründen, die im nächsten Absatz
ausführen will.
Leistungen, die den Grundbedürfnissen der Menschen dienen, dürfen nicht den Marktprinzipien unterworfen werden.
Die kapitalistische Gesamtwirtschaft gibt vor
auf Konkurrenz zu beruhen. Tatsächlich aber ist zu beobachten, dass es eine
rasante Tendenz zur Vernichtung von Konkurrenz gibt, indem immer größere
Konzern-Konglomerate gebastelt werden, die sich einerseits, ob der schieren Größe
und Verschachtelung, jeder Kontrolle entziehen und andererseits verantwortlich
dafür sind, dass unter dem Begriff Synergieeffekte, massenhaft Arbeitslosigkeit
erzeugt wird. Es sind Strukturen entstanden, die quasi schon Monopole darstellen.
Die Antwort auf diese Entwicklung ist eine Ent-Monopolisierung, die nicht nur
von Sozialisten gefordert wird, sondern auch von Vertretern der sog.
ordoliberalen Schule, die letztlich die Soziale Marktwirtschaft begründeten;
z.B. Ludwig Erhard.
Dabei muss es aber auch darum gehen, die
Soziale Marktwirtschaft zu überwinden und die demokratische Mitbestimmung
verwirklichen, die bislang in der Sozialen Marktwirtschaft verhindert wurde.
Wenn Obama ein Dekret erlassen kann, dass Unternehmen bei der Vergabe öffentlicher
Aufträge ausgeschlossen sind, die Arbeitnehmervertretungen ver- oder behindern
und/oder Arbeitnehmer nicht über ihre Recht aufklären, dann kann diese
Forderung so schlecht nicht sein.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal
auf die direkte Demokratie zu sprechen kommen und den – in Deutschland als ungesetzlich
geltenden – Generalstreik als selbstverständlichen Teil dieser direkten
Demokratie einfordern. Es bedarf einer Revision einer seit über fünf
Jahrzehnten herrschenden juristischen Meinung (die herrschende Meinung ist die
Meinung der Herrschenden). Wolfgang Abendroth hat in einem berühmten Gutachten schon 1952 nachgewiesen, dass dieses
Verbot einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, das Demokratie- und
Sozialstaatsgebot der Verfassung darstellt. Frau Merkel will bei der weltweiten
Installation der Sozialen Marktwirtschaft, davon sicher nichts wissen.
„Beim heutigen Stand der Dinge ist eben doch
der Sozialismus die einzige Lehre, die an den Grundlagen unserer falschen
Gesellschaft und Lebensweise ernstlich Kritik übt“, sagte Hermann Hesse und nie
hat dieser Satz mehr gestimmt als in der aktuellen Lage. Der einzige aktuelle Politiker,
der diesen Satz auch benutzt ist Oskar Lafontaine. Lafontaine vertritt mit
seinen Forderungen keinen rückwärtsgewandten kollektivistischen Sozialismus al la DDR (wie man ihm gerne vorwirft), sondern
einen gründlich reformierten Kapitalismus, in dem der Staat durch Beseitigung
der Monopole den Wettbewerb garantiert, Energieversorgung und Kommunikation
unter demokratische Kontrolle gestellt, der Militärisch-Industrielle Komplex in
öffentliche Regie genommen wird und die Schwachen gegen die wirtschaftlich
Starken geschützt bzw. befähigt werden, sich selbst zu schützen.
6. Schlusswort
Vielleicht ist es ungeschickt von mir, mit
Begriffen wie Kapitalismus/Sozialismus zu operieren… aber ich möchte mich
einfach nicht verleugnen, indem ich wolkig/diffus von Reformen rede oder unkonkrete
Schlagworte benutze, wie es die Kanzlerin in Davos tat. Und wenn ich die
Soziale Marktwirtschaft als Zwischenstufe zum Demokratischen Sozialismus
annehmen will, dann bestimmt auch deswegen, weil ich ja auch nicht aus meiner
Haut herauskann. Erstens bin ich für pragmatische Politik im Interesse der
Menschen (was mir das zuwarten auf die große Revolution als zynisch erscheinen
lässt) und zweitens bin ich immerhin auch ein Kind der Sozialen
Marktwirtschaft, die ihrem Ideal in den Zuständen zwischen 1955 und ca. 1973
näher war als die heutigen (in diesen Zuständen wuchs ich auf).
Wenn es dazu käme, dass wir Frau Merkels Worte
in diese Richtung verstehen dürfen, dann ist das zwar ein eher konservatives
Zukunftsbild, aber dies muss ja nicht schlecht sein, denn schließlich waren das
nicht die schlechtesten Jahre des Kapitalismus und den Menschen bei uns ging es
vielfach besser als in vielen anderen Weltgegenden. Die Frage ist, ob der
damals erreichte Standard wieder herbeizuführen ist. Oskar Lafontaine geht
jedenfalls davon aus. Wer nicht davon ausgeht, muss sich konkret fragen lassen,
wie es denn seiner Meinung nach heute weitergehen soll.
Mit ein paar Regeländerungen und marginalen
Korrekturen ist es jedenfalls nicht getan; auch nicht mit der Installation
einer abgehobenen Behörde bei den Vereinten Nationen. Es führt auch zu nichts,
in ein paar rhetorischen Pirouetten auf die Manager einzuschlagen;
wahrscheinlich führt es nicht einmal zu einer wesentlichen Änderung, Zocker und
Absahner in die Haftung oder gar in Haft zu nehmen. Frau Bundes-Gärtnerin
Merkel, all das sind Maßnahmen, die vergleichbar sind mit dem Versuch, die
Maulwürfe unter dem Rasen damit zu bekämpfen, in dem Sie die Maulwurfhügel
zertreten und dabei zu meinen: Denen habe ich es aber gegeben!
Wilfried John
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